Generationenschiff (17)


Jaja, nicht immer nur Magnaflux, jetzt gibts mal wieder Generationenschiff.

Auch gut, oder?

Was bisher geschah

Im ersten Kapitel begleiteten wir Professor Rodney Advani zu einem Besuch bei Präsidentin Sima, um mit ihr über eine bedrohliche Entdeckung zu reden, lernten Kapitänin Tisha kennen, die ebenfalls gerade eine solche gemacht hat und dafür von Jeanne auf der Brücke eingeschlossen wurde, sahen Banja bei einer nicht sehr glücklichen Prüfung für seine Arbeit als Tinker zu, und wurden Zeuge, wie Jahre später  Jole und Kentub darüber beraten, wie sie mit den aktuellen Erkenntnissen über den Planeten umgehen, der das Ziel ihrer Mission sein sollte.

Im zweiten Kapitel hat Piedra zunächst einen Unfall bei einem Außeneinsatz und führt dann ein schwieriges Gespräch mit Psmith, und die Präsidentin entscheidet, die Idee einer KI zur Kontrolle der Mission weiter zu verfolgen.

Im dritten Kapitel debattiert der Besatzung der Humanity über die Vor- und Nachteile einer Landung auf Last Hope versus derer eines Weiterflugs zu einer anderen wirklich allerletzten Hoffnung, Piedra versucht vergeblich, mit Wu über ihren Verdacht gegen Smith zu reden und wendet sich deshalb an Tisha, die gerade gar keine Lust hat, mit so etwas behelligt zu werden, und im Übrigen ist Senator Bowman der Meinung, dass der Planemo vernichtet werden muss.

Im vierten Kapitel wimelt Tisha Piedra ab und sieht mit Jeanne zusammen ein Video von unfassbarer historischer Bedeutung, Nico und Banya fachsimpeln über die Erde und bekommen Besuch von Piedra, und in unserer Zeit versucht Jerry Martinez, die ihn ihre KI gesetzten Erwartungen zu dämpfen.

Im fünften Kapitel folgt Jeanne Kentubs Empfehlung, Tisha will dem Ruf der Natur eigentlich nicht folgen, und Piedra versucht vergeblich, Banya ihren Verdacht gegen Psmith zu erklären.

Im sechsten Kapitel gerät Piedra mit Psmith aneinander, Kentub und Jeanne mit Marchand, und Rodney mit Jerry Martinez.

Im siebten Kapitel verhört Jeanne erst Piedra und dann Tisha, Kentub und Jeanne gehen zu dem Fremden, und Jerry und Rodney diskutieren über die Rettung der Menschheit.

Im achten Kapitel verkündet Jeanne in einer Teambesprechung einige wichtige Neuigkeiten, Kentub versucht, mit dem Fremden zu diskutieren, und Jeanne ernennt ihn zum neuen Kapitän.

Im neunten Kapitel streitet sich Banja zuerst mit Piedra und sagt dann seinem Vater, dass er sie nicht will. Kentub hält das für keine gute Idee.
Später versucht Kentub, die Kampfhandlungen zwischen den verfeideten Fraktionen an Bord der Humanity zu beenden indem er Marchant seine Position nahebringt, während auf Last Hope die Dienerinnen des Ersten Staates von einem neuen Stern erfahren.

Im zehnten Kapitel verbünden Tisha und Piedra sich gegen Psmith, um dann von ihm überrascht zu werden (also, nicht in dem Sinne, das sie sich dafür verbündet haben… Ihr wisst schon. Ja, das ist eine blöde Formulierung. Ich gewöhn sie mir ab.), Rodney besucht die Einrichtung, in der die Kinder für die lange Reise vorbereitet werden, Banja meldet sich freiwillig, und Kentub ringt mit den Konsequenzen seiner Entscheidung.

Im elften Kapitel verabschiedet Banja sich von Nico, Kentub betritt Last Hope, und Rodney lernt Celia kennen.

Im zwölften Kapitel redet Psmith mit Tisha und Piedra, Kentub begegnet Jeanne auf Last Hope, seine Transportgelegenheit verstirbt, und Präsidentin Sima gibt ein Interview.

Im dreizehnten Kapitel sehen wir die Ereignisse zwischen Kentub und Marchant noch einmal aus Marchants Perspektive, Marchant rettet ihn auf Last Hope, und Psmith erklärt weiter seinen diabolischen Plan. Der Schuft.

Im vierzehnten Kapitel berät die Präsidentin über Methoden zur Konservation der Besatzung, Marchant und Kentub reiten auf Jeanne über Last Hope und werden verfolgt, und Psmith wird endlich fertig damit, seinen diabolischen Plan zu erklären. Der Schuft.

Im fünfzehnten Kapitel macht Jeanne der Besatzung eine Ansage, und Kentub und Tisha beraten anschließend mit ihr, wie sie die umsetzen, und in  der weiteren Zukunft führen die fremden Kreaturen Jeanne, Kentub und Marchant in die Dunkelheit.

Im sechzehnten Kapitel versucht Jole mit den übrigen Kolonistinnen eine Entscheidung zu treffen, Tisha sägt an Kentubs Stuhl, Marchant ereilt schon wieder sein Schicksal, und Kentub versucht, eine Meuterei zu vermeiden, mit unwillkommenere Hilfe von Jeanne.

Was heute geschieht

21.76.149
„Wir sollten zu der toten Riesentermite gehen.“
„Ich stimme Ihrer Einschätzung zu.“
„Das hatte ich mir schwieriger vorgestellt.“
Jeanne antwortete nicht mehr, und Kentub dachte nach. So herrschte einige Minuten lang Schweigen, während sie ihn durch den dunklen Gang wieder hinauf trug, der Eisoberfläche des Planeten näher. Immerhin sah er wieder Licht, das machte Hoffnung.
„Glaubst du, der Fremde hat das so geplant?“
„Ich weiß nicht, auf welche Abläufe genau sich Ihre Frage bezieht, sehe aber keine überzeugenden Gründe für die Annahme, die jüngeren Ereignisse entsprächen seinen Plänen.“
„Ich meine … Dass er Marchant wieder aufgeweckt hat, damit er auf diesen Planeten kommt und die Termite tötet, damit wir eine tote Termite haben, die wir untersuchen können, und dann mit mir in ihren … Bau geführt wird und dort stirbt, damit sie einen toten Menschen haben, den sie untersuchen können, und so können wir übereinander lernen … und uns besser verstehen?“
„Da die Ziele und Gedanken des Fremden sich sehr von denen unterscheiden, die zu kalkulieren ich qualifiziert bin, sehe ich keine Rechtfertigung, mir darüber ein Urteil zu fassen, aber ich gebe zu bedenken, dass sich aus einem lebendigen Exemplar beider Spezies nicht zwingend weniger lernen lässt als aus einem toten.“
Kentub schwieg wieder eine Zeitlang.
„Stimmt auch wieder“, sagte er schließlich.
Das Licht vor ihnen wurde allmählich heller, und zu seiner Erleichterung hörte Kentub hinter ihnen keine klickenden Schritte. Hin und wieder drehte er sich trotzdem um, aber er sah stets nur Dunkelheit, von einzelnen aufblitzenden Reflexionen hier und da abgesehen.
„Glaubst du, wir können es schaffen?“, fragte er
„Last Hope ist für Menschen bewohnbar“, antwortete Jeanne, „Die Bedingungen sind allerdings weniger günstig, als die Missionsplanung voraussetzte. Durch die niedrigen Temperaturen und die dicke Eisschicht wird es sehr schwierig werden, die Lebensmittelversorgung sicherzustellen, da Landwirtschaft nicht wie geplant möglich sein wird. Eine unerwartete Chance hingegen sehe ich in den einheimischen Lebewesen.“
„Eine Chance?“
„Sie haben sich bisher als nicht sehr aggressiv erwiesen, sie müssen über eine Nahrungsquelle verfügen und stellen möglicherweise auch selbst eine solche dar.“
„Nicht sehr aggressiv? Ich könnte mir vorstellen, dass Marchant das anders einschätzen würde.“
„Sie würden sich täuschen.“
„Ich meine, wenn er noch am Leben schon gut ich merk’s selber, du musst es nicht sagen. Aber sogar wenn wir mal darüber hinwegsehen, dass sie sehr groß sind und unfassbar viele und offenbar mühelos in der Lage, einen Menschen … was auch immer genau sie mit Marchant gemacht haben.“
„Die Kreatur hat ihn mit ihren Mundwerkzeugen angehoben und …“
„Der Teil war keine Frage, Jeanne. Die Frage kommt erst noch.“
Sie wartete auf seine Frage.
„Sogar wenn wir das alles mal ignorieren, nämlich dass sie doch sehr gefährlich sind, wie stellst du dir denn vor, dass wir sie als Nahrungsquelle nutzen? Der Planet hier ist Lichtjahre von der Erde entfernt, wie wahrscheinlich kann es sein, dass wir die Dinger essen können?“
Er hatte das belastende Gefühl, dass er als ehemaliger Koch der Humanity so etwas wissen sollte, aber damals hatte er sich nicht damit befasst, weil er davon ausgegangen war, die Landung nicht mehr zu erleben, und später nicht mehr, weil er zu beschäftigt damit gewesen war, Kapitän zu sein.
Jole hätte es bestimmt gewusst. Er vermisste Jole. Er hoffte, dass er sie wiedersehen würde. Aber Jeanne wusste es natürlich auch.
„Da es sich wie bei Ihnen um kohlenstoffbasierte Lebensformen handelt, ist die Wahrscheinlichkeit nicht so gering, wie Sie offenbar vermuten. Natürlich ist es möglich, dass sie für Sie schädliche Stoffe enthalten, aber dieses Problem wäre durch entsprechende Verarbeitung lösbar. Langfristig wäre auch Zucht oder direkte Manipulation des Erbgutes der Wesen eine mögliche Lösung. Zudem besteht Aussicht darauf, dass eine symbiotische Beziehung mit den Wesen möglich ist, wenn ihre Sozialstrukturen tatsächlich denen irdischer staatenbildender Insekten ähneln sollten.“
„Eine symbiotische Beziehung? Ich hatte mir schon ein bisschen mehr für die Zukunft der Menschheit erhofft als ein Leben als Darmfortsatz außerirdischer Riesentermiten.“
„Die Missionsparameter enthalten ein hohes Maß an Flexibilität und bieten mir erheblichen Ermessensspielraum zum Erreichen des obersten Ziels Erhaltung der Menschheit.“
„Jeanne …“
„Darüber hinaus setzt eine Symbiose keine physische Verschmelzung voraus. Auch das Zusammenleben von Ameisen und Blattläusen war eine Symbiose.“
„Und du glaubst, dass unsere Ausscheidungen für die Riesentermiten süß und köstlich schmecken? Eklig, Jeanne.“
Sie antwortete nicht mehr. Er vermutete, dass er das verdient hatte.
Kentubs Stimmung hob sich trotzdem, weil sie nun das Licht erreicht hatten, und obwohl es um ihn herum natürlich auch windiger und kälter wurde, spürte er das kaum in seinem isolierten Schutzanzug, und so konnte er beinahe uneingeschränkt das Gefühl von Freiheit und Erleichterung genießen, die Höhlen der riesigen Insektenwesen lebendig verlassen zu haben.
Andererseits löste natürlich die endlose weiße Eiswüste, die ihn umgab, auf andere Weise Beklommenheit aus.
„Und der ganze Planet ist so? Oder gibt es irgendwo auch gemäßigte Zonen? Weiter im … Süden?“
Kentub kannte den Begriff aus einem Buch, aber er verstand ihn eigentlich nicht völlig.
„Der gesamte Planet ist von Eis bedeckt“, bestätigte Jeanne. „Ob dies ganzjährig der Fall ist, haben wir noch nicht mit Sicherheit feststellen können, es ist aber sehr wahrscheinlich. Terraforming hin zu günstigeren Bedingungen ist nicht ausgeschlossen, aber derzeit durch die vorhandenen Ressourcen nur als langfristiges Projekt umsetzbar.“
„Und leben die Termiten auch überall?“
„Über die einheimische Lebensform ist auch mir bisher nicht mehr bekannt, als wir gemeinsam erfahren haben. Zumindest konnten wir aber vorab keine Spuren ihrer Tätigkeit erkennen, was zumindest gegen die Existenz von großen überirdischen Strukturen spricht.“
„Hast du eigentlich schon einen Plan, was wir mit der toten Termite anfangen, wenn wir sie erreicht haben? Glaubst du, sie ist schon ganz eingefroren? Kannst du sie tragen?“
„Ich hatte keine Gelegenheit, ihre Zusammensetzung und insbesondere ihr Gewicht zu analysieren, schätze aber, dass sie noch nicht vollständig durchgefroren sein wird, und dass ich in der Lage sein werde, sie zu transportieren, ohne sie so zu beschädigen, dass der erhoffte Erkenntnisgewinn relevant beeinträchtigt wird.“
„In Ordnung. Das ist gut. Ich werde dir nämlich ganz sicher nicht helfen, das Dinge übers Eins zu schleppen.“
„Ich bin überzeugt, dass Sie die Bereitschaft aufbringen werden, das Notwendige zu tun.“
„Klingt das nur wegen deines Tonfalls wie eine Drohung, oder ist es wirklich eine?“
„Ich habe lediglich mein Vertrauen in Ihre Vernunft und Ihr Pflichtbewusstsein geäußert.“
„Das ist jetzt aber eine Drohung, oder? Jeanne? Hallo?“

19. Mai 2049
„Präsidentin Sima, was sagen Sie den Menschen, die glauben, dass Ihre Regierung insgeheim bereits das Ereignis vorbereitet und die Welt bereits verloren gegeben hat?“
„Steven, ich sage ihnen das gleiche, was ich allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes sage: Alle Mitglieder meiner Administration haben einen Amtseid geleistet, und dazu stehen wir. Natürlich bereitet die Bundesregierung sich stets auf verschiedene Szenarien vor, darunter auch einige katastrophale Ereignisse, nicht weil wir mit ihnen rechnen, sondern weil wir auf alles vorbereitet sein wollen, auch und gerade auf die unwahrscheinlichen, überraschenden Vorfälle, weil wir es den Bürgerinnen und Bürgern ebenso schuldig sind wie denen, die sich verpflichtet haben, sie zu schützen, so wie wir selbst.“
„Und dennoch zitieren manche Medien Berichte, nach denen die US-Regierung gemeinsam mit anderen Ländern ein geheimes Großprojekt betreibt, das offiziell in keinem Etat zu finden ist und über das sogar die Parlamente im Unklaren gelassen werden?“
„Wir müssen hier differenzieren, und klar benennen, worum es geht. Gibt es geheime Projekte, über die wir öffentlich keine Details bekannt geben? Natürlich. Das war schon immer so. Keine Regierung und keine Sicherheitsbehörde dieser Welt könnte den Schutz ihrer Bevölkerung garantieren, wenn jede Maßnahme und jeder Schritt sofort öffentlich bekannt wäre. Aber für all das gibt es Regeln, Steven, und unser Gründungsväter haben aus gutem Grund gerade für das, was im Geheimen abläuft, strenge Regeln vorgesehen, und ein sorgsam ausbalanciertes System gegenseitiger Kontrollen, das sich über die Jahrhunderte als zuverlässig und dauerhaft erwiesen hat und stetig modernisiert und an die Bedürfnisse und Wertvorstellungen einer sich entwickelnden, in jeder Hinsicht wachsenden Gesellschaft angepasst wurde. Dieses System gewährleistet ein angemessenes Gleichgewicht aus Geheimhaltung und Öffentlichkeit im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und aller Länder, die unter unserem Schutz stehen.“
„Gut gesagt, Frau Präsidentin, aber dennoch erwarten viele dieser Bürgerinnen und Bürger in dieser Zeit von Ihnen unmissverständliche Aufklärung darüber, was Ihre Administration weiß, wie sie damit umzugehen gedenkt, und wie sie das Geld dieser Bürgerinnen und Bürger verwenden.“
„Mit Recht, Steven, dieser Anspruch steht allen zu, denen gegenüber wir verantwortlich sind, und wir erfüllen ihn auch. Genau dafür gibt es Haushaltspläne, Berichte des Rechungshofes, und im Konfliktfall Gerichte, die darüber entscheiden, wann der Anspruch erfüllt ist. Ein Weg, der allen freisteht, die der Meinung sind, wir würden unsere Pflicht nicht erfüllen.“
„Präsidentin Sima, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.“
„Ich habe zu danken, Steven. Immer ein Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern.“

25.39.97
Banja saß auf seinem Bett, Arme um Beine geschlungen, den Kopf auf den Knien. Er schluchzte nicht, aber ein stetes Rinnsal von Tränen lief seine Wangen hinab.
Er wusste nicht, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Banja hasste die Humanity, ihre Enge, den Mief der vielen Menschen, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne, und vor allem hasste er die verdammte Mission, die alles beherrschte, und für die sie alle lebten, obwohl niemand von ihnen etwas mit ihr zu schaffen hatte.
Je länger er darüber nachdachte, desto unfassbarer, desto grotesker kam es ihm vor: Eine Gruppe von Leuten, die seit Jahrhunderten tot waren, hatte sich diesen Mist ausgedacht, und sie alle steckten nun in dieser Blechdose und mussten den Mist umsetzen, bis sie starben, und ihren Kindern beibringen, dass auch sie den Mist umsetzen mussten, bis sie starben, obwohl niemand von ihnen jemals gefragt worden war und niemand von ihnen jemals etwas davon haben würde.
Und sogar wenn sie es eines Tages als Gruppe schaffen würden, sich von dieser Verpflichtung zu befreien, die sie alle selbstverständlich angenommen hatten, dann konnten sie nicht, weil da diese Maschine war, die die schon lange toten Menschen programmiert hatten, als Werkzeug der Bedrohung, um ihre Vorstellungen zur Not mit Gewalt durchzusetzen.
Dagegen musste man doch aufbegehren. Das konnte man doch nicht akzeptieren! Das war doch nicht richtig!
Oder?
Er fragte sich, ob er seine Entscheidung bereuen würde. Er würde Nico vermissen. Er würde auch seinen Vater vermissen, so wütend er jetzt auch auf ihn war. Er würde bestimmt sogar Piedra vermissen, auch wenn er sich kaum einen schlimmeren Albtraum vorstellen konnte, als sich in die Ehe mit ihr zwingen zu lassen, Kinder zu zeugen und die dann mit ihr zusammen großzuziehen.
Aber er hatte Angst. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Er hatte keine Ahnung, ob er jemals eine Chance bekommen würde, zur Humanity zurückzukehren.
Hätte er doch einfach das Leben hier akzeptieren sollen? Hätte er sich einfach einfügen sollen, gehorchen, die Rolle annehmen, die man ihm zugewiesen hatte, und in der verfluchten Blechdose seine Pflicht tun, bis er starb und jemand anders den Mist übernahm?
Aber sogar Banja wusste, dass das nicht die einzigen Alternativen waren. Er hätte auch gegen die Mission kämpfen können, ohne sich freiwillig zu melden, die Humanity zu verlassen und sich als Opfer darbringen zu lassen für eine fremdartige Rasse, die ihnen vielleicht wohlgesonnen war, oder vielleicht nicht, die sie vielleicht nur angefunkt hatte, weil sie gerade Lust auf einen salzigen Snack hatte.
Er hätte bleiben können, und versuchen, die anderen zu überzeugen, und dabei seinen Beitrag leisten, so wie er es für angemessen hielt. Vielleicht hätte er am Ende etwas erreicht. Vielleicht hätte er sie überzeugen können, und die Menschheit, der kleine Rest, der von ihr übrig war, hätte gemeinsam einen neuen Weg suchen können, hätte für sich selbst entscheiden können, was ihr Ziel war, und wie sie ihr Leben investieren wollte.
Vielleicht hätte er mehr erreicht.
Vielleicht auch nicht.
None so blind as those who will not see.
Er wusste nicht mehr genau, wo er den Spruch zuerst gelesen hatte, und von wem er stammte, aber er war ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und er sah ihn überall bestätigt, immer wieder, jeden Tag, in jedem Gespräch, oder zumindest, sobald er versuchte, auszusprechen, was er wirklich dachte, statt einfach das gehorsame kleine Werkzeug zu sein, als das alle an Bord dieses lächerlichen, winzigen, großartigen, monumentalen, absurden, rundum unfassbaren verfluchten Schiffes geschaffen waren.
„Jeanne?“, fragte er in seiner Hilflosigkeit in den leeren Raum seiner Kabine hinein.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte die Maschine aus einem der unsichtbaren Lautsprecher zurück.
„Glaubst du, ich mach das Richtige?“
„Bitte spezifizieren Sie.“
„Ach vergiss es.“
Dass die Maschine ihm nicht helfen konnte, hatte er schon gewusst, bevor er seine Frage gestellt hatte. Aber erst ihre Gegenfrage hatte ihm klar gemacht, dass er nicht einmal sagen konnte, was die eigentliche Frage war.
„Jeanne?“
„Was kann ich für Sie tun?“
„Was weißt du über die Fremden?“
Banja war regelrecht verblüfft, als sie einfach antwortete:
„Unsere Kenntnisse sind bisher sehr begrenzt. Die Auswertung der Botschaft ist noch nicht abgeschlossen, aber vorläufig nehme ich als bekannt an, dass es sich um eine wirbellose Lebensform handelt, die vorrangig über Lichtwellen kommuniziert statt durch Schall wie die meisten uns vertrauten. Einige Indizien deuten darauf hin, dass ihre Technologie der unseren überlegen ist, nicht zuletzt die Behauptung, dass sie ein Rendezvous-Manöver mit der Humanity innerhalb weniger Tage durchführen können. Diese Überlegenheit lässt des Weiteren die Vermutung zu, dass ihr Handeln durch wissenschaftliches Interesse und eventuell sogar durch aufrichtige Hilfsbereitschaft motiviert sein könnte, da wenige Verläufe der Begegnung wahrscheinlich sind, die für sie von unmittelbarem materiellem Nutzen wären. Es scheinen schließlich mehrere von ihnen an Bord ihres Schiffes zu sein. Weitere relevante Spekulationen sind mir derzeit nicht möglich.“
„Wissenschaftliches Interesse … Meinst du, sie spannen mich dann einfach auf einen Tisch und sezieren mich, nachdem ich auf ihrem Schiff angekommen bin?“
„Das halte ich für völlig ausgeschlossen.“
„Ich bin erleichtert“, sagte Banja.
„Diese Technik“, erklärte Jeanne, „wird für pathologische Obduktionen verwendet, wenn der Körperbau des Objekts bereits bekannt ist. Für anatomische Leichenöffnungen, wie sie im Falle einer fremden Lebensform angemessen erscheinen, wären andere Techniken erfolgversprechender, wie beispielsweise eine Friertrocknung mit anschließender Zerteilung in feine Scheiben.“
„Ich fühle mich so viel besser …“
„Ich halte allerdings auch für realistisch, dass die fremden Lebensformen über bildgebende Verfahren verfügen, die eine solche Leichenöffnung überflüssig machen würden.“
„Du willst doch nur nicht, dass die Moral der Besatzung darunter leidet, dass jemand mein Mittagessen aufwischen muss.“
„Da diese Aufgabe nach den aktuell gültigen Missionsparametern Ihnen zufiele und Sie nicht viel länger Teil der Besatzung sein werden, werden meine Entscheidungen von dieser Erwägung nicht erheblich beeinflusst.“
Manchmal dachte Banja, dass sein Vater tatsächlich Recht hatte mit seinem Verdacht, dass Jeanne einen Sinn für Humor hatte.
„In dem Video sah es so aus, als würden sie in einer Flüssigkeit leben. Glaubst du, sie packen mich dann in einen Tank mit Luft, wie in einem Aquarium, nur umgekehrt?“
„Ihre Anfrage wird bearbeitet“, antwortete Jeanne, und kurz war Banja überrascht davon, dass sie einfach so das Gespräch abgebrochen hatte.
Dann hörte er das Krachen, und das Splittern, und die Schreie.

 

Lesegruppenfragen

1. Glaubt ihr, dass der Fremde das alles geplant hat?

2. Wie findet ihr die Interviews mit der Präsidentin? Bringen die euch was?

3. Mögt ihr Banja?

4. Glaubt ihr, dass er das Richtige tut?

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