12. Türchen: Caro


So, heute ist also jetzt mal ernsthaft Chick Lit dran, und ich finde, in Anbetracht des Genres ist das echt okay geworden.

Und ihr so?

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Caro

Kiefs Mutter schaffte es irgendwie, von ihrem Sessel aus auf Caro herabzusehen, obwohl diese vor ihr stand.

Trotz der offensichtlichen Verachtung, die aus ihrem Antlitz sprach, konnte Caro nicht anders als sie zu bewundern. Martha Winter hatte nicht nur in einer nach wie vor von Männern dominierten Welt einen Konzern aufgebaut, der alle Märkte maßgeblich mitbestimmte, auf denen er operierte und dessen Stammaktien nach wie vor allein in der Hand ihrer Familie waren.

Es war ihr außerdem gelungen, dass sämtliche Spuren ihres 74jährigen Lebens nicht wie Zeichen des Verfalls wirkten, sondern wie Auszeichnungen und Symbole erbrachter Leistung.

Die vollen schneeweißen Haare der alten Frau fielen ihr in leichten Wellen über die Schultern herab, ihre graublauen Augen schienen die Welt wie Dolche zu durchstoßen, und jede der zahlreichen Falten in ihrem Gesicht war wie gemeißelt als Monument der Erfahrung und Weisheit. Sie saß so aufrecht und steif, dass man sie für eine Statue hätte halten können, wenn ihre Züge nicht so viel Leben und wachen Verstand zu erkennen gegeben hätten.

Caro war nicht leicht einzuschüchtern, aber Martha Winter stand kurz davor, auch diesen Erfolg für sich verbuchen zu können.

„Ich war dagegen, Ihnen die Position anzubieten“, durchbrach sie schließlich die angespannte Stille. „Softwareentwicklung ist eine Männerdomäne, und unsere Mitarbeiter in diesem Unternehmensbereich sind zu über 90% männlich. Sie werden sie nicht akzeptieren. Sie sind nicht einmal Informatikerin.“

Caro ertappte sich dabei, kurz zu Kief hinüberzusehen, und hätte sich gleich danach selbst gegens Schienbein treten können. Genau das hatte Martha noch gefehlt, um ihr Bild zu vervollständigen: ein hilfesuchender Blick zu ihrem großzügigen Förderer.

Fuck.

„Aber mein Sohn“, fuhr die anscheinend sonderbar patriarchalisch denkende Matriarchin fort, „ist von Ihnen überzeugt.“ Ein beinahe wehmütiges Lächeln begann, um ihre Mundwinkel zu spielen. „Er schwärmt von großen Erfolgen aus Ihrer Zeit bei HP, und dem Projekt bei BlueByte, und lässt sich nicht davon abbringen, dass Sie die Person sind, die wir an dieser Stelle brauchen.“ Das Schulterzucken wirkte an ihr merkwürdig deplatziert. Die damit angedeutete Rat- und Hilflosigkeit harmonierte nicht mit diesem Gesicht, dieser Stimme, dieser Person. „Und 143860Corp ist seine Verantwortung, deswegen beschränke ich mich darauf, ihn zu warnen, und, sollten Sie wie erwartet scheitern, die angemessenen Konsequenzen zu ziehen.“

„Mama“, sagte Kief, „Meinst du nicht, dass du ein bisschen zu weit aufdrehst? Gib ihr eine Chance! Ich hab selbst mit Meg telefoniert, und du hättest sie hören sollen! Wir können froh sein, dass sie sich für unser Angebot entschieden hat, und dann hältst du ihr gleich an ihrem ersten Tag einen Vortrag drüber, dass du sie eigentlich gar nicht haben wolltest.“

Martha Winter schmunzelte und blickte hinab auf einen Kugelschreiber, der so kostbar war, dass er es nicht nötig hatte, zu zeigen, wie kostbar er war.

„Es immer schon vorher gewusst zu haben, ist Fluch und Segen hohen Alters“, sagte sie. „Gönn mir die Freude, solange du mich noch ertragen musst.“

„Du wirst mich überleben, Mama, ich sehe das kommen. Aber du hast schon mal von selbsterfüllenden Prophezeiungen gehört, oder?“

„Wenn sie sich vom Gezeter einer Greisin so verschrecken lässt, dann kannst du kaum mir die Schuld für ihr Versagen geben.“

Caro spürte das dringende Bedürfnis, zu zeigen, dass sie nicht nur wie ein gescholtenes Kind in der Ecke stand, während die Erwachsenen stritten, deswegen räusperte sie sich und sagte: „Ich … lasse mich nicht ohne Weiteres verschrecken, aber ich wäre ja schon ganz froh, wenn wir aufhören könnten, über mein immanentes unausweichliches Versagen zu reden, und ich stattdessen anfangen könnte, mich in die Aufgaben einzuarbeiten, die ich für Sie beide erfüllen soll.“

Martha Winter nickte ihr zu, und Caro konnte sich nicht recht entscheiden, ob das zufriedene Nicken eher so etwas sagen wollte wie „Schau an, sie hat ja anscheinend zumindest ein bisschen Spunk“, oder eher „… und wann sie die Klappe halten sollte, weiß sie auch nicht.“

„Da haben Sie recht“, sagte Kief. „Wir haben schließlich viel vor mit 143860. Wenn du dann also fertig bist mit Zetern …?“

Martha Winter gestikulierte mit einer huldvollen Handbewegung in Richtung Tür.

Kief setzte an, eine Hand in Caros Richtung auszustrecken, um sie nach draußen zu führen, erkannte aber immerhin sofort, wie deplatziert diese Geste jetzt wäre, und wandte sich stattdessen nur ab, um ihr vorauszugehen, ohne auch nur nachzuschauen, ob sie ihm folgte.

Erst als die schwere Tür mit einem würdevoll leisen, aber satten Laut in ihre Schalldichtungen gefallen war, drehte er sich zu ihr um, sein Gesichtsausdruck eine Mischung aus Belustigung und Sorge.

Caro lachte angespannt auf.

„Das war … intensiv“, sagte sie.

„Meine Mutter ist so. Aber machen Sie sich keine Gedanken. Ich bin Vorstandsvorsitzender von 143860, und wenn Sie sie das nächste Mal sehen, dann entweder, weil Sie Lob für einen großen Erfolg verdient haben, und sie ihre Voraussage zurücknehmen will, oder weil sie gerne selbst dabei sein will, wenn ich Ihnen Ihre Kündigung überreiche. So oder so ist die Anspannung dann also raus.“

Sie hörte sich wieder auf diese leicht überdrehte Art lachen, die sie sonst nicht von sich kannte.

„Ja, das … beruhigt mich.“

„Kommen Sie“, sagte er. „Ich führe Sie mal durch unsere Entwicklung zu Ihrem Büro. Das letzte Mal, als Sie hier waren, war ja keiner mehr da, das ist kein Vergleich.“

„Ich folge Ihnen und versuche, wieder zu Atem zu kommen.“

„So schlimm?“

„Ihre Mutter … hat irgendwas. Tun Sie nicht so, als wüssten Sie das nicht!“

Er lachte, aber bei ihm klang es einfach nur sympathisch und gelassen. „Ich ahne, was Sie meinen könnten. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Natürlich sind ein paar harte Nüsse zu knacken – pun not intended – aber Sie werden sehen, … Naja, was rede ich. Sie arbeiten ja nicht zum ersten Mal mit Entwicklern. Auf wen Sie am meisten achten müssen, ist Gerd Wroczyk. Er tut sich ein bisschen schwer, sich damit abzufinden, dass er jetzt Angestellter ist, und … er hat einen Ruf, was Frauen angeht. Er ist ein gottbegnadeter Meister seines Fachs, und das weiß er auch, aber wenn er unverschämt wird, stehe ich hinter Ihnen. Sie müssen ihm einfach nur klare Grenzen aufzeigen. Wenn Sie den gebändigt haben, haben Sie das Schlimmste geschafft.“

„Gut zu wissen. Sie hatten mir schon von dem erzählt. Kein Problem, er ist nicht der erste …“

Sie verstummte, als sich die Aufzugtür vor Ihnen öffnete.

Der Mann in der Kabine war vielleicht nicht ganz 2 Meter hoch, aber dicht dran. Sein dunkelbrauner Anzug saß trotzdem perfekt, sichtbar eine Maßanfertigung.

Was Caro aber zum Verstummen brachte, war nicht nur der Umstand, dass nicht unbedingt jeder dieses Gespräch zwischen ihr und Kief mithören musste.

Es war auch, dass etwas in den wachen grünen Augen dieses Mannes, in dem abenteuerlustigen Lächeln um seine Mundwinkel, und in der Art, wie er sie offen und neugierig, aber nicht respektlos musterte, irgendetwas an seiner Haltung und seinem Ausdruck, etwas in ihr zum Klingen brachte, das sie bisher noch nie gehört hatte.

„Hallo Kief“, sagte der Mann, „Und hallo …?“ und seine tiefe, dabei aber honigweiche Stimme ließen Caro wünschen, dass sie sich irgendwo anlehnen könnte, aber sie stand zu weit weg von der Wand, um das unauffällig zu bewerkstelligen, und die Zeiten, in denen Damen Schwächeanfälle nicht nur zeigen durften, sondern dies sogar hin und wieder von ihnen erwartet wurde, waren auch lange vorbei.

Oh Gott, dachte sie, was ist denn mit mir los? Atme, Caro. Nein, nicht so schnell. Nicht so laut. Oh Gott, er sieht mich wieder so an, nicht hinsehen, nein, nicht so hektisch wegsehen, aber …

Sie blinzelte und schüttelte den Kopf.

Und sah seine Augen, die fasziniert auf ihren ruhten. Und konnte nicht mehr weg sehen.

Sagte irgendjemand gerade irgendwas?

Fuck!

Sie schluckte.

„Entschuldigung, wie bitte?“

Ihr Mund war auf einmal so trocken.

„Wenn man vom Teufel spricht, habe ich gesagt“, wiederholte Kief. „Darf ich vorstellen?“

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5 Kommentare zu “12. Türchen: Caro

  1. Ja, so als Fragment ist es okay. Wirklich gut geschrieben, Genre getroffen, alles bestens. Solange es nur bitte nicht länger wird

  2. Ja, hihi, das geht definitiv als ChickLit durch.
    Gelungen.
    Und immerhin ist sie nicht wirklich ohnmächtig geworden.
    Aber ich bin in der Tat auch weniger neugierig als bei den anderen Fragmenten, das muß am Genre liegen…

  3. Außerordentlich chickig, gut getroffen. Aber was die Neugier auf den Rest betrifft, schließe ich mich vollumfänglich madove an.

  4. Och hey. Ich fands eigentlich ganz vielversprechend.
    Na gut.
    Na gut, ich gebe zu, es gibt vielversprechendere. Aber dies hier stünde auf meiner persönlichen Liste nicht ganz unten.

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