Heute ist es Zeit, den Wunsch nach einer Kindergeschichte zu erfüllen.
Ich wünsche viel Spaß!
Der kleinste Welpe
Der kleinste Welpe war hungrig. Aber weil seine Brüder und Schwestern sich vor ihm an- und übereinander vorbei an ihre Mutter gehängt hatten, war für ihn kein Platz mehr an der kostbaren Milchquelle, und so saß er nur in stiller Enttäuschung und sah zu, wie sie sich satt tranken.
„Es ist oft so im Leben“, sagte die dicke orange getigerte Katze vom Fensterbrett aus, „Dass wir zusehen müssen, wie andere sich an dem überfressen, wonach auch wir uns sehnen, das aber für uns unerreichbar ist.“ Sie streckte ihre vier Beine und leckte sich nachdenklich über das rechte vordere Knie, bevor sie hinzufügte: „Wie anmutig wir damit umgehen, ist der Maßstab unserer Würde.“
„Aber … Ich bin hungrig“, sagte der kleinste Welpe, „Und die anderen sind doch sowieso schon so groß und stark!“
Die dicke orange getigerte Katze wandte sich von ihm ab und schaute aus dem Fenster auf die verschneite Landschaft, während ihr Schwanz langsam über ihr Fell schlängelte.
„Siehst du“, sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen, „Was ich meinte? Und es hat dich nicht mal näher an die Milch gebracht.“
Der kleine Welpe ließ den Kopf hängen und betrachtete seine viel zu großen Vorderpfoten, während er darüber nachdachte, wie würdevoll es wohl von der Katze war, über seine Not und Hilflosigkeit zu spotten, während ihr eigener Futternapf immer mindestens halb voll war und sie noch keine Minute ihres Lebens irgendetwas hatte entbehren müssen.
Er hatte den Verdacht, dass es Teil des Laufs der Welt sein könnte, dass die, die genug von allem haben, es als sehr geschmacklos und unkultiviert empfinden, wenn sie auf den Mangel der anderen und die entsetzliche Ungerechtigkeit der Welt hingewiesen werden.
Aber er hielt sich für zu klein, um das zu verstehen, und für unfähig, es angemessen zu artikulieren, was übrigens auch Teil der Welt ist, und ein weiterer Grund, aus dem sie nicht ist, was sie sein könnte.
„Hey!“
Der kleinste Welpe zuckte zusammen, stolperte über seine eigenen Hinterläufe, und versuchte, sich so würdevoll wie möglich zu setzen.
‚Das war Absicht!‘ sagte sein Blick, als er zu seinem größten Bruder aufschaute, dem mit der tiefschwarzen Nase und den schwarzen Ringen um die Augen.
„Komm her“, sagte der größte Welpe. „Ich bin satt, und du kannst meinen Platz haben.“
Freudig mit dem Schwanz wedelnd sprang der kleinste Welpe auf und tappste auf seinen Bruder zu.
„Danke!“ rief er aufgeregt, „Dankedankedanke!“
Die dicke orangegetigerte Katze hielt die linke Vorderpfote vor ihre Augen, fuhr ihre Krallen aus und ein und betrachtete sie, bevor sie begann, sie behutsam zu reinigen.
„Du verziehst ihn“, sagte sie gelangweilt und ein bisschen nuschelig um ihre Zunge herum.
„Er hat es verdient, dass jemand sich um ihn kümmert, und ihn beschützt“, sagte der größte Welpe. „Jeder hat das!“
„Mag sein“, sagte die Katze an ihrer Zunge und ihrer Pfote vorbei, „Aber wie soll er so lernen, sich um sich selbst zu kümmern? Wenn du erst einmal verkauft bist, wird niemand mehr da sein, der ihn beschützt, und dann wird er merken, was du ihm angetan hast mit deiner Großzügigkeit.“
„Verkauft?“ fragte der größte Welpe, hörbar bemüht, seine Unsicherheit zu verbergen. „Wie meinst du das?“
Die Katze lachte, sprang mit müheloser Eleganz auf und stolzierte an der Heizung entlang in Richtung Küche.
„Ihr werdet sehen“, antwortete sie.
Ziemlich fies für eine Kindergeschichte. 😉
Schön geschrieben. Meine Kinder mochten im passenden Alter allerdings lieber Geschichten mit mehr Happy End und weniger Belehrung.
Gefällt mir. 🙂
PS: Schoss mir beim Lesen der Hundegeschichte so durch den Kopf.
Passt irgendwie dazu und auch zu Weihnachten und nicht nur in diese Zeit……:
Ein Gedicht: „Womit hab ich das verdient?“
Dass ich hier lebe, hier, wo das Brot ist
und nicht da draussen, wo gerade Not ist –
das hat mich oft geplagt; ist das nicht ungerecht?
Warum geht mir’s so gut, warum den andern schlecht?
Womit hab ich das verdient – diesen Überfluss,
dass ich essen kann und dass ich nicht hungern muss?
Auch wenn ich nicht reich bin, bin ich viel besser dran
als so mancher, der nicht leben und nicht sterben kann.
Ich ess zu Hause, ich esse im Lokal,
und wenn ich seufze, dann vor der Qual der Wahl.
Ist mein Gewissen schon mit Erfolg betäubt,
dass mir kein Bissen im Halse stecken bleibt?
Niemals hab ich das verdient – diesen Überfluss,
dass ich essen kann und dass ich nicht hungern muss.
Auch wenn ich nicht reich bin, bin ich viel besser dran
als so mancher, der nicht leben und nicht sterben kann.
Dass ich hier lebe und hier geboren bin –
bei Gott hat alles das schon lange seinen Sinn.
Er schüttet nicht umsonst mir meine Hände voll.
Er gibt mir das, was ich für ihn verteilen soll.
Was ich tun kann, will ich tun, geben, was ich kann.
Gott macht mir die Augen auf, zeigt mir wo und wann,
zeigt mir Städte auf der Welt, wo man Hunger hat,
und dann macht er durch mein Geld einen Menschen satt.
Gott braucht mich heute hier, braucht mich in dieser Stadt,
wo mancher Satte lebt, der Hunger nach ihm hat.
Doch schickt er mich hinaus, wo Münder offenstehn
und Herzen obendrein – dann will ich gerne gehn.
Was ich tun kann, will ich tun, geben, was ich kann.
Gott macht mir die Augen auf, zeigt mir wo und wann,
zeigt mir Städte auf der Welt, wo man Hunger hat,
und durch meine Arbeit macht er dann Menschen satt.
(aus: Manfred Siebald, Mit Gott durchs Leben)
…. und ja….eigentlich ist es ein Lied.
Oh, der Kater! Als hätte er sich direkt aus meiner Kindheit hierher verlaufen.
hmmmm.
Ich bedanke mich mal wieder bei allen.
@Triffels: Magst du davon mehr erzählen? Mir sagt das gar nichts.
@Christina: Ich weiß ja, dass du es gut meinst, aber meine Einschätzung wäre, dass das Gedicht jetzt schon ein bisschen zu doll ist. Es ist ziemlich lang, hat einen nur sehr vagen Bezug zum Beitrag und ist in meinen Augen doch einigermaßen plumpe PR. Wenn du in Zukunft sowas hast, genügt ein Link, denke ich. Aus Rücksicht auf die anderen Kommentatoren und Mitleser hier.
@fabian: Da gibt es nicht viel zu erzählen. Da ist ein Hörspiel mit drei wunderschönen Geschichten, das ich als Kind rauf und runter gehört habe. In „ZAzubi Zauberlehrling“ tritt dieser Kater – Joringel – auf, der, außer der Farbe, deiner Katze bis aufs Haar gleicht.
[Und blockquote vergessen. Fabian, wärst Du so nett? Danke]
@Triffels: Ist erledigt.
Danke für die Erläuterung!
(Und morgen gibt es übrigens die wahre Geschichte. Diesmal im Ernst.)