Yanis2 (6)


Heute habe ich nicht nur ein neues Kapitel Yanis für euch, sondern auch eine spannende Ankündigung: Am kommenden Samstag, 21. August, um 1630 Uhr, findet auf YouTube live eine Lesung von mir statt! Ich werde verschiedene Kurzgeschichten von mir vorlesen und dann gerne auch auf Wünsche aus dem Publikum eingehen. Natürlich gibts das Ganze auch hinterher noch per VOD auf YouTube, aber Wünsche gehen aus offensichtlichen Gründen nur live. Vielleicht habt ihr ja Zeit! Hier ist der Link:

https://t.co/8O4YAeHzTW?amp=1

Und hier ist das neue Kapitel. Viel Spaß!

„Aki …“

„Ich weiß, aber …“

„Aki …“

„Ja, aber was hätten …“

„Aki …“

„JA Aber wie …“

„Aki …“

„Hätte ich …“

„Aki!“

„Wir konnten doch …“

„Aki.“

„Sie hätte …“

„Aki!“

„Narubolan –“

„Aki, es reicht. Lass uns jetzt reden bitte.“

Aki schaute Tarma nachdenklich an.

„Du meinst, lass Jakuwe reden. Aber ich weiß schon, was Jakuwe zu all dem hier zu sagen hat. Dich lass ich gerne reden. Meinetwegen auch Yeto, aber ich werde jetzt nicht hier stehen und mir Jakuwes Genörgel darüber anhören, dass er von vornherein wusste, dass das alles kein gutes Ende nimmt mit dieser Streunerin! Wir haben unser Bestes versucht, und wir haben Narubolan gerettet, und natürlich sind damit nicht alle Unklarheiten beseitigt und natürlich ist die Situation immer noch schwierig, aber die Situation war auch vorher schon schwierig, und sie wäre für uns noch schwieriger gewesen und Narubolan wäre tot, wenn wir gewartet hätten, bis ihr endlich zu irgendeinem Entschluss gekommen seid! Oder?“

Aki schaute weiterhin nur in Tarmas Augen, mit einem kurzen Seitenblick zu Yeto.

Trotzdem antwortete Jakuwe zuerst.

„Die Situation ist nicht schwierig“, schnarrte er über den Tisch hinweg, über dem er hing, beide Arme weit vor sich aufgestützt, als würde er versuchen, so nah wie möglich an Aki heranzurobben, um sien beißen zu können. „Die Situation war schwierig, bis ihr einfach eigenmächtig eine katastrophale daraus gemacht habt.“

„Wir –“

„Aki verdammt noch mal lass mich jetzt ausreden!“

Jakuwe schlug mit der Unterseite seiner Faust auf den Tisch, was nach Akis professioneller Einschätzung wirkungsvoller gewesen wäre und viel weniger wie ein Akt ohnmächtiger Wut ausgesehen hätte, wenn er es getan hätte, bevor er Aki unterbrach, statt hinterher.

Aki nickte.

„Wir hatten eine Situation, in der die Gefahr bestand, dass Narubolan hingerichtet wird, und eine geringere Gefahr eines Krieges“, fuhr Jakuwe fort. „Und du hast Recht, dass wir lange unsicher waren, wie wir damit umgehen sollen und das Beste daraus machen. Vielleicht auch, weil wir Narubolan retten wollten und nicht … konsequent genug waren, den vielen, vielen, vielen Menschenleben angemessen klaren Vorrang einzuräumen.“

Aki zuckte die Schultern.

„Du sagst konsequent, ich sag grausam. Wie immer, alles.“

„Aki“, grummelte Yeto.

„Schon gut“, grummelte Aki.

„Vielleicht“, fuhr Jakuwe fort, bemüht darum, zu sprechen, als wäre er nicht unterbrochen worden, „hätten wir schneller zu einem Ergebnis kommen sollen, ich bin bereit, das zuzugeben. Aber das rechtfertigt nicht, dass ihr einfach losgezogen seid und aus dieser Situation mit einer – zugegeben! – großen Gefahr für eine Person und einer … eher geringen Gefahr für eine große Zahl Personen eine gemacht habt, in der eine große Gefahr für eine große Zahl Personen besteht, weil ein Krieg kaum noch abzuwenden sein dürfte, oder zumindest ein erhebliches Scharmützel lach nicht!“

„Dann sag nicht sowas Albernes wie ‚erhebliches Scharmützel!‘“

„Wer ist jetzt grausam? Wer macht Witze über verlorene Menschenleben?“

„Naja …“

Yeto seufzte. Laut. Ungewohnt laut.

Alle anderen verstummten und starrten Yeto an.

„Bitte seid doch so gut, das Schaulaufen zu lassen“, sprach der Baron. „Wir stehen vor einem Problem.“

„Das Aki geschaffen hat!“, warf Jakuwe ein.

„Schaulaufen“, murrte Tarma, „Du sollst es lassen.“

Jakuwe warf ihm einen sehr, sehr kalten Blick zu.

„Wir stehen vor zwei heiklen Situationen“, sprach der Baron in diplomatisch-konziliantem und auf mysteriöse Weise gleichzeitig klar herrschaftlichem Tonfall, der für alle keine Zweifel daran ließ, dass sein Inhalt als Deklaration der Lage gemeint war, nicht als Diskussionsbeitrag. „Die eine ist, dass unser*e Erb*in durch vorschnelles, nicht abgestimmtes Handeln unsere Position gefährdet hat. Dies muss Konsequenzen haben, die wir gemeinsam beschließen werden. Bei dieser Herausforderung handelt es sich um eine sehr ernste, bedeutsame, aber nicht um eine dringende. Aki wird uns nicht weglaufen.“

„Dachten wir“, grummelte Jakuwe und verstummte auf einen Blick Yetos.

„Die zweite, zwar durch den erstgenannten Umstand mit verursachte, für diese Betrachtung aber von ihm gänzlich unabhängige Situation besteht darin, dass unsere Baronie durch – zumindest aus Sicht der Gräfin von Kelthoven eindeutig grundlose – Pfandkehr mit ihrem Lehen am Rande eines Krieges steht, zumindest aber in ernster Verwerfung. Schon aus meiner Schilderung ist erkennbar, dass diese Herausforderung nicht nur noch ernster und ähnlich bedeutsam ist, sondern außerdem – und hierauf will ich vorrangig hinaus, also hört jetzt bitte besonders aufmerksam zu, statt weiter darüber zu grübeln, wie ihr einander schlecht dastehen lasst – sehr viel dringender ist. Sie duldet keinen weiteren Aufschub. Wir werden uns also ihrer zuerst annehmen, das steht für mich außer Frage. Gibt es dem entgegenstehende Auffassungen im Saal?“

Allgemeines Kopfschütteln.

„Nein“, knurrte Jakuwe.

„Nein“, stimmte Tarma nachdrücklich zu.

„Nein“, murmelte Aki.

„Nein“, sagte Erusim Jachme.

*********************************

Die Sonne wärmte Yanis‘ Rücken spürbar, so stark waren ihre Strahlen jetzt schon. Am Himmel waren nur einzelne weiße Schäfchenwolken zu sehen. Um sich herum konnte Yanis das tiefere Brummen von Hummeln und das etwas hellere der Bienen hören. Weiter weg sangen sogar ein paar Hainpixies, und irgendwo blökte ein Terwamah.

Trotzdem fröstelte sie. Ein Schauder lief durch ihren ganzen Körper. Sie atmete tief durch und schloss die Augen während sie langsam ihre rechte Faust hob, die einen Zentner zu wiegen schien. Aber sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. Sie wollte wirklich nicht. Aber sie musste.

Sie klopfte. Einmal. Zweimal. Ein drittes Mal.

Sie wartete und wünschte sich gleichzeitig – oder war es abwechselnd? – , dass die alte Hexe ihr öffnen würde, und dass sie es nicht tun würde. Dass sie nicht zu Hause war.

Hm.

Wenn sei nicht da war, dann könnte Yanis einfach die Pastillen suchen und sich nehmen.

Sie würde sie natürlich nicht stehlen.

Sie war keine Diebin. Sie würde sie bezahlen. Sie würde eine angemessene Gegenleistung zurücklassen. Nicht dass sie eine Vorstellung davon hatte, was angemessen sein könnte, aber sie würde ihr Bestes tun, gerecht zu sein. Sie wollte die alte Frau nicht bestehlen. Es würde nur alles so viel einfacher werden, wenn sie ihr nicht begegnen musste, weil sie

sich vor ihr fürchtete?

Nein.

Nein, das war es nicht. Eine Shiu’Hzim hatte keine Angst vor einer alten Kräuterhexe. Aber Yanis war keine Shiu’Hzim mehr. Sie hatte trotzdem keine Angst vor der Greisin. Ganz sicher nicht. Sie war nur so angespannt, weil

Yanis nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit darüber nachzudenken, was es verriet, dass sie sich zurzeit so oft selbst vergewisserte, vor irgendwem oder irgendwas ganz sicher keine Angst zu haben.

Vielleicht auf dem Rückweg. Da würde sie eine Menge Zeit haben, nachzudenken, und vielleicht auch genug innere Ruhe, wenn Ikrezia ihr helfen konnte.

Aber dafür musste Yanis sie natürlich erst einmal finden. Wo war sie?`

Yanis klopfte noch einmal.

Keine Antwort, keine Reaktion.

Sie war wirklich in Versuchung, sich einfach selbst Zutritt zu verschaffen oder zumindest erst einmal nachzusehen, ob es möglich war, ohne irgendetwas aufbrechen oder sonstwie zerstören zu müssen. Aber sie widerstand und schämte sich dafür, wie stolz sie darauf war, falls das Sinn ergab.

Sie ging um das Haus herum, stieg über den Zaun und blieb kurz dahinter stehen, um den Anblick des Gartens im Sonnenschein zu genießen.

Yanis war eigentlich keine Stehenbleiben-und-Anblick-Genießen-Person, dachte sie zumindest, und sie hatte auch kein Interesse an Gärten, zumindest war sie sich da ziemlich sicher. Aber sie hatte in letzter Zeit so wenig schöne und ruhige Momente erlebt, dass sie für diesen wirklich ganz direkt spürbar Schönheit und Frieden durchströmten, während sie mit dem Rücken zu dem kleinen Zaun stand und sah, wie die verschiedenen Insekten und sogar ein paar wenige kleine Zauberwesen zwischen den Blüten und Blättern der zahlreichen Kräuter, Bäumchen und Büsche umherhuschten und ihre Schatten komplizierte Muster auf den Boden zeichneten, die sich in der leichten Brise ständig veränderten.

Sie atmete tief durch und dachte sogar kurz darüber nach, ob sie sich an einem Lächeln versuchen sollte, fand dann aber, dass das zu viel auf einmal wäre.

„Na – schon wieder da, Mäuschen?“

Yanis fühlte sich in ihrer Entscheidung grimmig bestätigt, als sie die scheinmitleidig besorgte Fistelstimme der Greisin hörte, gefolgt von dem grauenvollen Kichern, von dem sie sich in das Krankenbett in der staubigen, stinkenden Hütte zurückversetzt fühlte, in den Schmerz und die Hilflosigkeit, die schlimme war als jeder Schmerz, die sie je empfunden hatte, und als Shiu’Hzim hatte sie in ihrem Leben viele verschiedene Arten von Schmerz empfunden.

„Ich wusste, dass ich die wiedersehe, ganz bald. Vermisst die alte Ikrezia, hm? Und ihre ganz besondere Medizin?

Yanis atmete langsam durch die Nase aus und wieder ein und versuchte, nicht zu sehr so zu klingen, als würde sie die Laute einzeln mit großer Kraftanstrengung durch die zusammengebissenen Zähne pressen müssen, während sie sie die Laute einzeln mit großer Kraftanstrengung durch die zusammengebissenen Zähne presste:

„Ich bin hier wegen der … Ja. Es geht um die … Medizin.“

Wieder das Kichern. Yanis hätte sie erschlagen können, und es wäre ihr eine Freude gewesen, und sie fühlte gleich noch einmal diese sonderbare Abfolge aus Stolz darauf, dass sie es trotzdem nicht tat, und Scham darüber, dass das jetzt die Art Ding war, auf die sie Stolz empfand.

„Schon alle?“, fragte die Greisin.

Sie kniete vor einer Pflanze mit sehr auffälligen gelben Blättern, deren Oberfläche im Sonnenlicht glänzte, als wären sie Nachbildungen einer Pflanze aus Glas, und schien sehr behutsam mit einem Messer unter der Pflanze an deren Wurzeln zu graben … oder mit irgendeinem Gartenwerkzeug, das einem Messer aus dieser Entfernung sehr ähnlich sah.

Die Ausbildung auf Yeshaga hatte sehr wenig auf Gartenarbeit und die dafür notwendigen Geräte fokussiert, und dafür sehr stark auf Messer und ähnliche Werkzeuge für weniger wachstumsorientierte Tätigkeiten.

Yanis nickte.

Sie hatte nicht das Gefühl, dass es viel zu sagen gegeben hätte.

Ikrezia kicherte, tastete schräg hinter sich auf dem Boden nach einem Stock und stemmte sich damit hoch, bis sie beinahe aufrecht stand, beide Hände übereinander auf den knorrigen Stab gestützt.

„Hattest du den letztes Mal auch schon?“, fragte Yanis.

Es interessierte sie eigentlich kein bisschen, aber sie erinnerte sich wirklich nicht an den Stock und hatte das halb bewusste Bedürfnis, das unangenehme Schweigen nicht zu lang werden zu lassen, ohne dabei mehr als unbedingt nötig über den eigentlichen Grund ihres Besuchs

„Sogar in meinem Alter wird man nicht jünger, Mäuschen“, sagte die alte Frau, während sie langsam auf Yanis zu humpelte. „Die alte Ikrezia ist nicht mehr so gut zu Fuß.“

Yanis sah ihren Bewegungen mit in Falten gelegter Stirn zu und fragte sich, ob es einfach ein offener Scherz war, den sie durchschauen sollte, oder ein Versuch einer Täuschung, oder sogar die Wahrheit. Natürlich war ihr klar, dass Mensch in zwei Wochen nicht dramatisch altern konnten, aber andererseits musste es ja für jeden Menschen, der auf einen Stock angewiesen war, irgendwo eine beliebig kurze Zeitspanne geben, vor der der Stock noch nicht gebraucht wurde und nach …

Yanis blinzelte und schüttelte den Kopf.

Es war eigentlich völlig egal und sie war bereit, zu akzeptieren, dass Ikrezia ihr in dieser Art Spielchen über war und sie sich deshalb den Versuch sparen konnte, mitzukommen.

„Kanst du mir … mehr von der Medizin geben?“, überwand sie sich schließlich, noch einmal direkt zu fragen. Fast hätte sie ‚bitte‘ gesagt, aber das hatte sie dann doch nicht geschafft.

Sie kam sich ohnehin schon so unterlegen vor, dass sie den Eindruck nicht noch verfestigen wollte, indem sie sich auch so verhielt.

Das tückische an dieser Taktik war natürlich, dass der Versuch, sich so zu verhalten, als stünden sie einander auf Augenhöhe gegenüber, die Unterwerfung nur umso erbärmlicher machte, wenn sie eingefordert wurde.

Und natürlich forderte Ikrezia sie ein.

„Armes Mäuschen“, kicherte sie, blieb kurz vor Yanis stehen und sah zu ihr auf. „Brauchst du deine Medizin?“ Es wäre fast nett gewesen, wie sie einfach sorglos und fest in Yanis‘ Gesicht blickte, ohne kurz angewidert die Miene zu verziehen, dann zu Boden zu schauen und sich dann mit entschlossen zusammengepressten Lippen wieder zu zwingen, Yanis in die Augen zu sehen, wie die meisten anderen Menschen es taten. Fast, weil Ikrezia so ziemlich der einzige Mensch war, dessen Blick Yanis nicht ertragen konnte. Sie senkte selbst die Augen und schaute auf den Stock, auf den die Greisin sich stützte.

Ein anderes Element, das den Austausch sehr eindeutig nicht nett machte, war, dass Ikrezia nicht, wie es jeder andere Mensch getan hätte, die Frage nur rhetorisch stellte und dabei weiter humpelte und tat, worum sie gebeten worden war.

Die verflixte Hexe blieb stehen, schaute Yanis an, ganz ohne Eile und Rücksicht, und wartete auf eine Antwort.

Yanis versuchte es, wirklich. Sie wartete und schwieg und hoffte, dass Ikrezia doch irgendwann einfach weitermachen würde, aber die alte Frau war nicht bereit, nachzugeben. Sie wartete und lächelte zu Yanis auf, ganz freundlich auf der Oberfläche, als wäre es keine Machtdemonstration, keine Geste der Überlegenheit, keine Forderung nach völliger Unterwerfung.

„Ja“, antwortete Yanis schließlich, als sie es nicht mehr aushielt, weil mit jedem Herzschlag, mit jeder verdammten verstreichenden Sekunde natürlich auch das Gewicht der Antwort zunahm.

Hätte sie einfach sofort Ja gesagt, hätte es fast ein beiläufiges Geplauder sein können, wie Menschen es manchmal hielten, während sie miteinander etwas unternahmen.

Ikrezia lächelte ungerührt weiter und nickte und murmelte leichthin: „Ich weiß.“

Dann setzte sie sich wieder in Bewegung, schob sich an Yanis vorbei und humpelte in Richtung der Hütte.

Yanis folgte ihr. Sie hatte ja keine Wahl.

„Wie ist es dir ergangen, Mäuschen?“, fragte die Alte. „Was hast du erlebt, seit du die bescheidene Hütte der alten Ikrezia verlassen hast?“

Yanis atmete tief durch.

„Das ist eine längere Geschichte, als du wahrscheinlich vermutest.“

Ikrezia kicherte.

„Du unterschätzt die alte Ikrezia, Mäuschen. Sie weiß mehr, als sie sieht. und sie sieht mehr, als du denkst.“

„Warum fragst du dann?“

„Ikrezia sieht auch nicht alles! Die Augen werden langsam milchig und müde …“

Ikrezia fingerte einen großen rostigen Schlüssel aus den wallenden Lumpen, in die sie gehüllt war, und schloss damit ein großes, rostiges Vorhängeschloss an der schiefen Tür ihrer Hütte auf.

„Komm mit rein, Mäuschen. Die alte Ikrezia gibt dir deine Medizin …“

Yanis nestelte nervös an ihrer Umhängetasche herum.

Sie war sicher, dass Ikrezia etwas haben wollte für die Pastillen. Aber sie hatte keine Ahnung, wie viel, und sie hatte inzwischen genug Erfahrung mit der alten Hexe gesammelt, um lieber nicht von sich aus eine bestimmte Summe anbieten zu wollen oder …

Eigentlich war ihre Hauptsorge, dass Ikrezia nicht nur Geld haben wollen würde.

Beinahe gegen Yanis‘ eigentlich Willen irrte ihr Blick durch die staubige, spinnwebverhangene Unordnung der Hütte, auf der Suche nach ihrem Hzim-Säbel. Aber er war nirgends zu sehen.

Ikrezia schob sich durch die Hütte, hielt einmal kurz inne, als einer ihrer langen Ärmel am halb losen Griff einer Schublade hängen blieb, und schüttelte ihn frei.

Schließlich blieb sie vor einer verschlossenen Truhe stehen.

„Hast du’s auch warm, Mäuschen? Hast du ein Dach über dem Kopf? Wo bist du denn untergekommen?“, fragte sie, und ihr Tonfall machte deutlich, dass sie nicht einmal mehr versuchte, so zu tun, als könnte Yanis möglicherweise glauben, das hier wäre nur harmloses Geplauder.

„In … Kelthoven“, antwortete Yanis.

Ikrezia schnalzte mit der Zunge.

„Früher, als die alte Ikrezia noch jünger war, hat sie sich manchmal von der großen Stadt verlocken lassen. Wo genau?“

„In … einem Gasthaus“, antwortete Yanis.

Nicht einmal eine so schlichte, offensichtliche Lüge bekam sie so hin, dass auch nur der treueste Schoßhund sie ihr abgekauft hätte.

„Hm“, machte Ikrezia. „Bist du zu Geld gekommen? Wie bezahlst du denn dein Zimmer, Mäuschen? Wirst doch nicht auf die schiefe Bahn geraten sein?“

Sie kicherte. Wie Yanis dieses grauenvolle Kichern hasste.

„Nein“, antwortete sie. „Bin ich nicht.“

Irgendwie schaffte die alte Frau es, minutenlang in einer nicht allzugroßen Schublade zu wühlen, ohne dabei offensichtlich Zeit zu schinden, aber auch, ohne irgendetwas zu Tage zu fördern.

„Sondern?“, fragte Ikrezia, und zog das Wort dabei ganz unangenehm in die Länge. ‚Ssoooooooonndeeeeeern?‘

Yanis stöhnte, so leise sie konnte, auch wenn sie nicht ganz sicher war, warum, weil sie sich keinerlei Hoffnung machte, irgendein Gefühl haben zu können, ohne dass Ikrezia es mitbekam.

„Ich habe … Aufträge angenommen.“

„Aufträge, soso … Was für Aufträge machst du denn, Mäuschen?“

Ikrezia fummelte immer noch in der Schublade herum. Es war gerade zu düster und die alte Frau zu weit über das Fach gebeugt, als dass Yanis hätte erkennen können, was drin war.

Falls überhaupt irgendwas drin war.

„Unterschiedliche“, antwortete Yanis.

Und Ikrezias Hände hörten auf, sich zu bewegen.

Yanis hasste und verachtete sich selbst dafür, wie sie sofort Hitze in ihr Gesicht steigen und das juckende Gefühl aktiver Schweißdrüsen unter ihren Armen fühlte, als die Hexe die Schublade schloss und aufhörte, so zu tun, als würde sie etwas darin suchen.

Sie drehte sich nicht zu Yanis um. Sie sagte nichts. Sie fragte nicht noch einmal.

Yanis schwieg.

Ikrezia schwieg.

Yanis tat ihr Bestes, um ihren Atem gleichmäßig zu halten.

Ikrezia schwieg.

„Ich … habe mich als Leibwächterin an di*en Erb*in einer Baronie verdungen“, stieß Yanis hervor, als würde sie sich bemühen, es möglichst schnell auszusprechen, damit der Moment, in dem sie es aussprach, in dem sie kapitulierte, möglichst schnell vorbei war. Weil es genau so war, natürlich.

Ikrezia grinste sie an, als wäre alles nur ein netter, harmloser Spaß, ein Geplauder unter Freundinnen, und als wäre sie einfach ganz freundlich froh, erfahren zu haben, dass es Yanis gut ging.

„Als Leibwächterin?“, wiederholte sie. „Das ist ja interessant! Davon muss du der alten Ikrezia unbedingt mehr erzählen! Weißt du, ich bekomme so selten Besuch, da wird man einsam mit der Zeit!“

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