Wir nähern uns weiter dem Ende dieses Buches, aber ein bisschen gehts noch weiter.
Viel Spaß!
Was bisher geschah
Im ersten Kapitel begleiteten wir Professor Rodney Advani zu einem Besuch bei Präsidentin Sima, um mit ihr über eine bedrohliche Entdeckung zu reden, lernten Kapitänin Tisha kennen, die ebenfalls gerade eine solche gemacht hat und dafür von Jeanne auf der Brücke eingeschlossen wurde, sahen Banja bei einer nicht sehr glücklichen Prüfung für seine Arbeit als Tinker zu, und wurden Zeuge, wie Jahre später Jole und Kentub darüber beraten, wie sie mit den aktuellen Erkenntnissen über den Planeten umgehen, der das Ziel ihrer Mission sein sollte.
Im zweiten Kapitel hat Piedra zunächst einen Unfall bei einem Außeneinsatz und führt dann ein schwieriges Gespräch mit Psmith, und die Präsidentin entscheidet, die Idee einer KI zur Kontrolle der Mission weiter zu verfolgen.
Im dritten Kapitel debattiert der Besatzung der Humanity über die Vor- und Nachteile einer Landung auf Last Hope versus derer eines Weiterflugs zu einer anderen wirklich allerletzten Hoffnung, Piedra versucht vergeblich, mit Wu über ihren Verdacht gegen Smith zu reden und wendet sich deshalb an Tisha, die gerade gar keine Lust hat, mit so etwas behelligt zu werden, und im Übrigen ist Senator Bowman der Meinung, dass der Planemo vernichtet werden muss.
Im vierten Kapitel wimelt Tisha Piedra ab und sieht mit Jeanne zusammen ein Video von unfassbarer historischer Bedeutung, Nico und Banya fachsimpeln über die Erde und bekommen Besuch von Piedra, und in unserer Zeit versucht Jerry Martinez, die ihn ihre KI gesetzten Erwartungen zu dämpfen.
Im fünften Kapitel folgt Jeanne Kentubs Empfehlung, Tisha will dem Ruf der Natur eigentlich nicht folgen, und Piedra versucht vergeblich, Banya ihren Verdacht gegen Psmith zu erklären.
Im sechsten Kapitel gerät Piedra mit Psmith aneinander, Kentub und Jeanne mit Marchand, und Rodney mit Jerry Martinez.
Im siebten Kapitel verhört Jeanne erst Piedra und dann Tisha, Kentub und Jeanne gehen zu dem Fremden, und Jerry und Rodney diskutieren über die Rettung der Menschheit.
Im achten Kapitel verkündet Jeanne in einer Teambesprechung einige wichtige Neuigkeiten, Kentub versucht, mit dem Fremden zu diskutieren, und Jeanne ernennt ihn zum neuen Kapitän.
Im neunten Kapitel streitet sich Banja zuerst mit Piedra und sagt dann seinem Vater, dass er sie nicht will. Kentub hält das für keine gute Idee.
Später versucht Kentub, die Kampfhandlungen zwischen den verfeideten Fraktionen an Bord der Humanity zu beenden indem er Marchant seine Position nahebringt, während auf Last Hope die Dienerinnen des Ersten Staates von einem neuen Stern erfahren.
Im zehnten Kapitel verbünden Tisha und Piedra sich gegen Psmith, um dann von ihm überrascht zu werden (also, nicht in dem Sinne, das sie sich dafür verbündet haben… Ihr wisst schon. Ja, das ist eine blöde Formulierung. Ich gewöhn sie mir ab.), Rodney besucht die Einrichtung, in der die Kinder für die lange Reise vorbereitet werden, Banja meldet sich freiwillig, und Kentub ringt mit den Konsequenzen seiner Entscheidung.
Im elften Kapitel verabschiedet Banja sich von Nico, Kentub betritt Last Hope, und Rodney lernt Celia kennen.
Im zwölften Kapitel redet Psmith mit Tisha und Piedra, Kentub begegnet Jeanne auf Last Hope, seine Transportgelegenheit verstirbt, und Präsidentin Sima gibt ein Interview.
Im dreizehnten Kapitel sehen wir die Ereignisse zwischen Kentub und Marchant noch einmal aus Marchants Perspektive, Marchant rettet ihn auf Last Hope, und Psmith erklärt weiter seinen diabolischen Plan. Der Schuft.
Im vierzehnten Kapitel berät die Präsidentin über Methoden zur Konservation der Besatzung, Marchant und Kentub reiten auf Jeanne über Last Hope und werden verfolgt, und Psmith wird endlich fertig damit, seinen diabolischen Plan zu erklären. Der Schuft.
Im fünfzehnten Kapitel macht Jeanne der Besatzung eine Ansage, und Kentub und Tisha beraten anschließend mit ihr, wie sie die umsetzen, und in der weiteren Zukunft führen die fremden Kreaturen Jeanne, Kentub und Marchant in die Dunkelheit.
Im sechzehnten Kapitel versucht Jole mit den übrigen Kolonistinnen eine Entscheidung zu treffen, Tisha sägt an Kentubs Stuhl, Marchant ereilt schon wieder sein Schicksal, und Kentub versucht, eine Meuterei zu vermeiden, mit unwillkommenere Hilfe von Jeanne.
Im siebzehnten Kapitel reitet Kentub auf Jeanne zu der toten Riesentermite zurück, die Präsidentin gibt ein Interview, und Banja zweifelt an seinen Entscheidungen.
Im achtzehnten Kapitel beendet Jeanne eine Meuterei, und erst Jole und Nimue und dann Jole, Kentub und Jeanne debattieren über die Zukunft der Kolonie.
Im neunzehnten Kapitel verhandelt Kentub mit Nimue über Ressourcen, diskutiert danach mit Jole und Jeanne die Zukunft der Kolonie, Banja möchte ein Held sein, eine Zeitung berichtet über die Machenschaften der Regierung Sima und Nimue begegnet mit Piri zusammen einem der Termitenwesen.
Im zwanzigsten Kapitel trifft sich die Besatzung im Arboretum, und Banja und Piedra führen ein Gespräch. Präsidentin Sima verschiebt die Wahlen. Und Piri und Nimue erhalten ein Geschenk, und geben eins zurück.
Im 21. Kapitel ersteht Kentub von den Toten auf, oder bleibt eigentlich erst mal liegen, erwacht aber immerhin zum Leben, Banja betritt das Schiff der Fremden und trifft dort 1 alten Bekannten, und Kentub droht, an seinen Kolonist*innen zu verzweifeln, aber dann kommt 1 Raumschiff.
Im 22. Kapitel begegnen Kentub und Banja einander wieder, und Nimue und Psmith führen ein nicht unproblematisches Gespräch.
Im 23. Kapitel erleben wir eine entgleisende Demonstration gegen Präsidentin Simas geheime Projekte.
Im 24. Kapitel reden Kentub und Jole über das Hydrokulurset, Nimue und Psmith über Waffen, Rodney will mit der Präsidentin sprechen, und Jole und Piedra gehen auf eine Reise.
Im 25. Kapitel versucht Nimue vergeblich, schlafen zu gehen, Jole und Piedra versuchen weniger vergeblich, zu Nimues Siedlung zu reisen, und Nimue ist wiederum relativ erfolgreich mit ihrem Versuch, Psmith zu verprügeln, nachdem sie ihm in den Gang gefolgt ist.
Im 26. Kapitel muss Rodney Sima eine schwierige Mitteilung machen, Jole und Piedra erreichen Nimues Siedlung, und Banja plaudert mit dem Fremden.
Im 27. Kapitel bekommt Präsidentin Sima unerwarteten und unwillkommenen Besuch, während Psmith wiederum einen solchen abstattet und angemessen begrüßt wird.
m 28. Kapitel planen Kentub und Jole Verhandlungen mit Nimue, Banja besucht sie, und Präsidentin Sima führt ein weiteres unerquickliches Gespräch mit den beiden Repräsentantinnen.
Im 29. Kapitel
werden Manju und Jim evakuiert, Sima führt ein unerquickliches Gespräch im Krisenraum, Banja, Kentub und Jeanne diskutieren den Wunsch der Fremden nach einer Expedition, Colin Blye findet den Tod, und Banja und Jeanne plaudern noch ein bisschen.
Im 30. Kapitel hält Jole Kentub zurück, während Banja und Jeanne den frisch gegrabenen Tunnel erkunden, und es findet ein großes Palaver in einem virtuellen Raum statt. Abgefahrenes Kapitel, alles in allem.
Im 31. Kapitel verhandelt Nimue mit Jole über die Rationierung von Lebensmitteln zugunsten der Ureinwohnerinnen, die derweil die Kriegerin töten, die sich in der Nachfolge des Menschen Psmith fühlte, und als Cliffhanger werden Kentub, Banja und Jeanne vor der freigelegten Tür von einer Gruppe bedrohlich wirkender Ureinwohnerinnen überrascht.
Im 32. Kapitel werden Nimue und Kentub von suizidalen Ureinwohnerinnen überrascht, und Präsidentin Sima bekommt Besuch in ihrer Zelle.
Was heute geschieht
10.30.149
Kentub starrte den … Schwarm?, die Armee?, die vielen vielen Ureinwohnerinnen an, die riesige Kriegerin, die direkt vor ihm und Banja und Jeanne stand, und ihre tote Schwester, die jetzt nicht mehr stand, und war in diesem Moment sehr froh, mit den beiden wahrscheinlich gefährlichsten Wesen hier zu sein, die die Erde geschickt hatte.
Hoffentlich sogar den gefährlichsten Wesen auf dem Planeten, aber er fühlte sich da in diesem Moment nicht besonders sicher.
„Was… Was wollen sie denn?“
„Ich fürchte …“, begann Banja, aber Jeanne unterbrach ihn.
„Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sie von uns erwarten, die Geste nachzuahmen. Ich nehme an, dass wir ihnen auf diese Weise demonstrieren sollten, dass unsere Absichten auf Kooperation gerichtet sind, und möglicherweise haben sie für den auf diese Weise erworbenen Leichnam auch eine konkrete praktische Verwendung, wie etwa durch Obduktion gewonnene Erkenntnisse über die menschliche Anatomie.“
Kentub blinzelte.
„Wir wissen jetzt schon, dass sie Gesten machen, Absichten demonstriert haben wollen und Kenntnisse erwerben können?“, fragte er. „Ich dachte, als wir das letzte Mal über sie sprachen, waren wir noch nicht mal sicher, ob sie überhaupt über irgendeine Art Bewusstsein oder Empfindungen verfügen.“
Jeanne antwortete: „Diese Frage ist tatsächlich noch offen, aber ihr Verhalten, ihr Erfolg und die von ihnen errichteten Strukturen sprechen dafür, dass sie zumindest als emergente Eigenschaft ihres Zusammenlebens eine Eigenschaft entwickelt haben, die im Ergebnis ähnliche Auswirkungen hat.“
„Was soll das heißen?“
„Wie ein Computer halt“, sagte Banja, eher nachdenklich als wie jemand, der es besser weiß. „Der einzelne Transistor ist ja ganz sicher nicht intelligent, und sogar der ganze Computer muss es nicht sein, aber er kann trotzdem Dinge tun, die … von außen nicht von den Handlungen eines intelligenten Wesens zu unterscheiden sind.“
„Also ich stelle mir einen Turing-Test mit diesen Wesen recht einfach ja schon gut, genug der Witze. Wenn es sein muss, mach ich es.“
„WAS?“
Banja wirbelte zu seinem Vater herum und sah ihn fassungslos an, aufrichtig unsicher, ob er richtig verstanden hatte.
„Naja“, sagte Kentub, ungewohnt kleinlaut. „Jeanne kommt offensichtlich nicht infrage. Sie ist unverzichtbar für die Kolonien, und wir wissen nicht mal, ob die Ureinwohnerinnen sie als … Opfergeste akzeptieren würden, und du … Ich werd jetzt nicht so tun, als wäre es egal, dass du mein Sohn bist, aber außerdem bist du der Botschafter der Fremden. Und ich bin halt nur der Koch. Da kanns eigentlich keine zwei Meinungen geben, oder?“
„Wir könnten kämpfen. Oder versuchen, mit ihnen zu kommunizieren und zu erklären, dass es ein völlig unsinnige Idee ist! Ist es nämlich. Völlig unsinnig.“
„Ja gut. An Letzterem zweifle ich nicht. Eher an der Sache mit der Kommunikation.“
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„Nein!“, schrie Nimue das Monster an. „Nein!“
Sie versuchte, einen der Körper zurückzugeben, den die riesige Kriegerin ihr hingeworfen hatte, aber sie schaffte nur eine wenig überzeugenden Versuch, eines der Gliedmaßen der Leiche ein bisschen weiter in Richtung der Kriegerin zu bewegen.
Eine armselige Geste, aber sie hoffte, dass sie damit trotzdem irgendwie kommunizieren konnte, was sie zu sagen hatte. Deshalb versuchte sie es gleich noch mal mit einem der anderen Körper.
Dann sah sie einen der Köpfe hinter dem Körper liegen, kletterte darüber, hob das schmierige schwarze Ding beim dritten Versuch endlich auf – es war wirklich noch schmieriger, als es aussah, und sie trug Handschuhe -, und warf es zu der Kriegerin.
Die Kriegerin ignorierte die Berührung, sie stand einfach weiter reglos da.
„Ihr bekommt keine*n von uns! Wir sind nicht wie ihr!“, schrie Nimue die Kriegerin an.
Die Kriegerin stand einfach nur da. Dass sie Nimue befremdet anschaute, bildete sie sich gewiss nur ein.
Nimue trat näher an sie heran. Sie biss dabei fest die Zähne zusammen und zwang sich, die Angst davor zu überwinden, dass das Monster ihr gleich auch den Kopf abreißen könnte.
„Verschwindet!“, schrie sie. „Verschwindet! Ihr bekommt keine*n von uns!“
Die Ureinwohnerin blieb einfach stehen und sah sie mit ihren reglosen Augen und ihrem ausdruckslosen Gesicht an, falls das überhaupt Augen waren, und ein Gesicht.
„Du … Du meinst, sie wollen ein Opfer?“, rief Heik.
„Ich weiß nicht, ob Opfer ganz der richtige Ausdruck ist. Vielleicht bedeutet es irgendwas. Oder sie wollen uns halt zum Essen? Keine Ahnung. Aber ja, ich glaube, es ist eindeutig, dass sie eine*n von uns wollen. Und sie kriegen niemanden.“
„Bist du sicher, dass wir sie aufhalten können?“
„Nein. Du?“
„Das …“
Heik zuckte die Schultern.
„Ich verhandle da nicht drüber. Wir opfern niemanden aus dieser Siedlung. Niemals.“
Sie baute sich noch einmal so beeindruckend sie konnte vor der Kriegerin auf, die mindestens doppelt so hoch schien wie sie selbst.
„Geht weg! Nein! Ihr bekommt nichts, gar nichts!“
Einen Moment herrschte Stille; einen langen Moment.
Und dann drehte die Kriegerin sich ohne Weiteres um und – ging.
Was …?
Nimue starrte mit offenem Mund hinter der Kriegerin her, die gemeinsam mit den übrigen Ureinwohnerinnen das Lager verließ.
„Was … Was ist passiert?“
„Du hast sie eingeschüchtert.“
„Yeah, du hast sie eingeschüchtert und vertrieben!“, rief Piri.
Sie wirbelte herum zu ihrem Sohn.
„Was machst du hier draußen?“
„Ich wollte sehen, wie du die Termiten in die Flucht schlägst!“
„Piri … Ich hab … Ich überhaupt niemanden … Ich hab gar nichts gemacht.“
Piri nickte heftig. „Ich habs doch gesehen, wie du sie angeschrien hast! Du hast ihr Angst gemacht!“
Nimue lächelte, und versuchte, das Lächeln zu unterdrücken, und versuchte, sich davon abzuhalten, zu versuchen, das Lächeln zu unterdrücken.
Sie wusste selbst nicht so richtig, was sie gerade versuchte.
„Das glaube ich eigentlich nicht“, sagte sie, aber sie schaltete dafür die Übertragung nicht ein. Er hörte sie nicht.
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Jeanne schoss auf die Kriegerin. War es das erste Mal, dass ihre Geschütze mit scharfer Munition feuerten? Kentub war sich nicht sicher, aber er glaubte, schon. Unglaublich eigentlich, dass jemand vor 150 Jahren diese Maschine gebaut hatte, und sie funktionierte immer noch. Die Datenbanken der Humanity enthielten genug Informationen, um zu erkennen, dass die Menschheit bei Weitem nicht der Hort der Hochkultur und Aufklärung gewesen war, auf den man auf dieser Basis hätte hoffen können. Aber er fragte sich doch manchmal, was sie in diesen 150 weiteren Jahren noch alles hätte schaffen und werden können. Wenn nicht
Egal.
Die Kugel traf, und zu Kentubs Genugtuung durchschlug sie auch sichtbar die Panzerung der riesigen Kreatur. Es war kein tödlicher Treffer, aber so war er auch nicht gemeint gewesen. Es war ein Warnschuss, und zumindest die Funktion schien er zu erfüllen.
Die Kriegerin wich einen guten Meter zurück.
Kentub drehte sich um zu Jeanne und hob abwehrend die Arme.
„Nicht schießen“, rief er.
„Ich werde abwarten“, bestätigte Jeanne.
„Danke!“, antwortete Kentub, wandte sich wieder ab und ging auf die Ureinwohnerinnen zu.
Mit einer Mischung aus Bedauern und … Zufriedenheit?, nahm er wahr, dass Banja zwar betrübt zuschaute, aber nicht körperlich versuchte, ihn aufzuhalten.
Na gut.
„Los!, schrie Kentub die Kriegerin an, „Hier bin ich! Iss mich! Oder … was immer du halt vorhattest.“
Die Kriegerin stand einfach nur da. Dass sie ihn befremdet anschaute, bildete er sich gewiss nur ein.
„Komm! Hier! Ich bins, ich stelle mich, ich bin der Freiwillige!“
Sie bewegte sich nicht.
„Beiß mir den Kopf ab! Spieß mich auf! Zerreiß mich! Ich bin dein Opfer!“
Dass sie den Kopf ein bisschen schief legte, bildete er sich sicherlich nur ein.
Er drehte sich um und sah Jeanne wie immer völlig ausdruckslos da stehen, und Banja ihn peinlich berührt mustern. Auch ein bisschen traurig?
Vielleicht bildete er sich das auch nur ein.
„Sie will mich nicht“, sagte er.
„Okay!“, rief Banja, und Kentub lächelte, weil er ganz sicher war, dass er sich die Erleichterung in der Stimme seines Sohnes nicht nur einbildete, „Dann versuchen wir was Anderes! Ich denke, sie könn-“
„Ich werde es tun“, sagte Jeanne mit ihrer immer gleich sachlich-freundlichen Stimme.
Kentub schloss die Augen, biss die Zähne zusammen, atmete ein.
„Okay“, sagte er. „Tu es.“
„Nein!“, rief Banja.
Kentubs Lächeln wurde ein bisschen breiter. Er wusste, dass es am Ergebnis nichts ändern würde, er konnte es fühlen. Aber er freute sich. Das war gut. Wenn er schon sterben musste, wollte er glücklich sterben.
Oder zumindest halbwegs zufrieden.
„Tu es!“
„Nein!“, rief Banja. „Sie wollen ihn nicht! Das geht nicht, Jeanne! Stell dir vor, sie wollen ihn wirklich nicht, und dann hast du ihn … Und dann wollen sie ihn nicht. Das geht nicht, Jeanne. Das geht einfach nicht. Das … Ich lass das nicht zu.“
„Ich räume ein, dass die Situation verschiedene Deutungen zulässt, sehe aber eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit, dass die vom Kapitän favorisierte die zutreffende ist und beabsichtige deshalb, seine Entscheidung zu unterstützen. Ich empfehle Ihnen, sich anzuschließen.“
Kentub öffnete die Augen wieder. Er war neugierig. Ihm war nicht klar gewesen, dass Banja wirklich die Möglichkeit hatte, Jeanne von etwas abzuhalten, was sie für die richtige Entscheidung hielt, aber offenbar hatten die Fremden ihm tatsächlich genug Kraft gegeben, um ihre Alleinherrschaft zu brechen.
Nicht dass er etwas hätte sehen können.
Jeanne stand immer noch da wie eine große metallene Ameise, beide Torsi und die Geschütze darauf in seine Richtung gedreht, oder wahrscheinlich eher in Richtung der noch viel größeren Ureinwohnerin Last Hopes, die hinter ihm stand.
Oder doch eher in seine. Er musste beinahe lachen. Für einen Moment hatte er vergessen, worüber sie gerade diskutierten. Die Situation überforderte ihn durch die vielen Schichten ihrer Absurdität.
„Das ist Unsinn, Jeanne. Die ganze Idee ist von vornherein völlig abwegig, und spätestens jetzt wissen wir nicht mal mehr …“
„Es ist okay“, sagte Kentub. „Lass sie es machen. Es ist den Versuch wert.“ Er breitete die Arme aus und versuchte, sich in dem Tunnel ostentativ umzusehen. Die Geste brachte weder für ihn noch für Banja viel Wirkung, weil der Visor des Helmes sich nicht mit drehte. „Wir haben alle nicht viel zu verlieren.“
„Du hast keine Ahnung!“, rief Banja. Schrie Banja beinahe.
Kentub lächelte und fühlte sogar eine Träne im Augenwinkel. Er konnte nicht ganz leugnen, dass er diese Szene genoss, und dass er sie vielleicht auch deshalb etwas mehr … ausspielte, als streng genommen nötig gewesen wäre.
Aber ein Leben, das nur einem Zweck gedient hatte, zum Schluss mit einem kleinen Geschenk an sich selbst diesem Zweck zu opfern, musste doch einfach eine lässliche Sünde sein. Ein bisschen Weihrauchduft schwang doch in jeder Selbstlosigkeit mit, und ein bisschen Zügellosigkeit gegen das Selbst in jedem Opfer.
Und sogar falls es Ausnahmen geben sollte, er war weder bereit dazu, eine zu sein, noch hielt er sich für einen besonders geeigneten Kandidaten.
„Vielleicht nicht wie du“, sagte Kentub, „Und vielleicht nicht mal wie Jeanne, aber … Aber … A… Oh.“
Er versuchte, an sich hinab zu schauen, aber wieder war der Helm im Weg. Wieder konnte er nicht richtig sehen.
Aber jetzt, wo er kurz darüber nachgedacht hatte, war es eigentlich auch klar.
Es war passiert.
Es fühlte sich kalt an.
Natürlich. Wie alles auf diesem Drecksplaneten. Last Hope. Pff. Am Fuß.
Kentub stellte sich vor, dass Marchant sich ungefähr so gefühlt haben musste.
Lag er schon am Boden? Irgendetwas hatte sich an seiner Perspektive verändert. Hatte die Ureinwohnerin ihn aufgehoben? Oder Jeanne?
Oder Banja?
„Banja“, formten seine Lippen in seinem letzten Atemzug, während sein Blut das Eis Last Hopes tränkte.
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„Nimue!“
„Das ist jetzt nicht eher Ernst.“
Er klopfte noch einmal.
„Nein! Reicht! Ist genug jetzt!“
„Nimue, das ist kein Spaß, es ist wichtig!“
„Aaach ihr könnt doch auch einmal ich meine hrng wirklich jetzt …“
Nimue seufzte und zog unter halb mitleidigen, halb neidischen, halb neugierigen Blicken – ja, das waren drei Hälften, es handelte sich um sehr viele Blicke – ihren Thermo-Anzug wieder an, von dem sie sich gerade befreit hatte.
Er klopfte.
„DU KANNST AUFHÖREN, ICH KOMME JA SCHON!“
Piri zuckte richtig zusammen, und es tat ihr ein bisschen leid, dass sie so laut geschrien hatte, auch wenn es in dem Moment ein sehr befreiendes Gefühl gewesen war.
„Entschuldigung!“, formte sie mit den Lippen in Piris Richtung.
Er zuckte die Schultern und grinste tapfer.
„Sie die Ter… Die Ureinwohnerinnen wiedergekommen?“
„Nein, wir haben eine Nachricht.“
„Eine … Nachricht? Und die kann nicht warten?“
„Sie ist von … außen. Von Fremden. Aber nicht von den Fremden.“
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Banja stand noch lange da und starrte auf die Blutflecken im Eis, als die Ureinwohnerinnen von Last Hope schon lange mit dem Körper seines Vaters verschwunden waren.
Jeanne stand regungslos neben ihm, und natürlich hatte er keine Möglichkeit, zu beurteilen, ob sie auch auf die Blutflecken starrte, ob sie über irgendetwas nachdachte – wahrscheinlich dachte sie ununterbrochen über irgendetwas nach, oder ? – oder nur ungeduldig auf ihn wartete. Wahrscheinlich konnte sie gar nicht ungeduldig sein. Aber irgendeine Entsprechung für die Einschätzung, dass etwas zu lange dauerte, sie aber wenig daran ändern konnte, musste sie doch haben.
„Glaubst du, sie … machen irgendwas mit ihm?“
„Die Alternative ist logisch unmöglich.“
„Jeanne, ich bin echt nicht in Stimmung, du weißt genau, was ich meine!“
„Ich bin in der Tat über die Intention Ihrer Frage unsicher.“
Banja machte ein knurrend-würgend-zischendes Geräusch.
„Ob sie wirklich seinen Körper für irgendeinen praktischen Zweck wollten, oder ob das Ganze jetzt eine Geste der … Unterwerfung war, frag ich mich? Oder Freundschaft? Guter Absichten? Was weiß ich? Aber das meinte ich jedenfalls. Verwerten sie den Körper, oder wollten sie nur das Opfer als solches?“
„Mir fehlen hier für eine akkurate Einschätzung wesentliche Fakten. Dass die Ureinwohnerinnen den Körper mit sich fortgetragen haben, könnte für eine Verwertung sprechen, aber auch lediglich Teil eines Rituals sein. Von irdischen nicht menschlichen Lebewesen sind vergleichbare Rituale nicht dokumentiert, desha-“
„Schon gut, Jeanne, schon gut. Vergiss es einfach. Um Himmels Willen Jeanne, vergiss es bitte einfach. Und lass uns jetzt diese Tür aufmachen. Es soll wenigstens nicht völlig umsonst gewesen sein.“
„Ich befürworte das Öffnen dieser Tür, aber mir war nicht bekannt, dass wir in der Lage sind, es durchzuführen.“
„Konntest du auch nicht. Du hast ja schließlich keine Ahnung. Aber die Fremden. Denen ist das bekannt.“
„Ich ordne dies als gute Nachricht ein. Informieren Sie mich darüber, wie wir die Tür öffnen können.“
Banja nickte.
„Der Fremde hat mir … gesagt, also, du weißt ja, dass die Kommunikation nicht so ganz einwandfrei funktioniert, aber wie ich ihn verstanden habe, musst du als ersten Schritt eine Verbindung herstellen zur … Elektronik oder zu dem Netzwerk, das die Tür steuert. Dafür ist da irgendwo … Da ist … Also…“
Banja blinzelte und schüttelte den Kopf.
„Der Fremde …“, murmelte er. „Ich … Moment … Das ist … Ich verstehe nicht so richtig … Ich verstehe ja nie so richtig, aber jetzt gerade … Was?“
„Ich verstehe nicht, was Sie mir mitzuteilen versuchen, aber ich gewinne den Eindruck, dass Ihre Kommunikation zu den Fremden sich für Sie überraschend gegenüber einem ohnehin schon unzulänglichen Zustand ganz akut noch weiter verschlechtert hat. Trifft das zu? Können Sie darüber hinaus irgendwelche Schlüsse ziehen?“
„Es ist … Verwirrend. Verwirrender als sonst. Und ich glaube, irgendetwas … sehr Wichtiges hat sich verändert? Warte bitte kurz, oder … Versuch meinetwegen schon mal die Tür zu öffnen, aber ich … Ich brauch noch ein bisschen.“
Jeanne stakste auf die Tür zu, auf eine Art, die ihm vielleicht auf alberne Art schmollend und verlegen oder zumindest resigniert vorgekommen wäre, wenn nicht so viele ander Gedanken und Gefühle zugleich durch seinen Kopf gerast wären. Manche davon sogar seine eigenen.
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Nimue war müde.
Nimue war so unglaublich müde. Sie stützte sich schwer auf den Tisch vor sich, schloss die Augen, ließ den Kopf sinken und widerstand der Versuchung, einfach so stehen zu bleiben, bis sie eingeschlafen war.
Mit einem kaum zu stemmenden Akt der Willenskraft hob sie den Kopf, und die Augenlider, und schaut auf.
„Bereit“, sagte sie.
„Verbindung steht!“
„Fremdes Schiff“, sagte Nimue, „Dies ist die … Siedlung … Humanity 2 auf dem Planeten Last Hope. Identifizieren Sie sich!“
„Humanity 2, dies ist die Dream of a Straighter Path. Wir befinden uns in einem Orbit um Last Hope und beabsichtigen, den Planeten zu annektieren. Sie haben dieser Absicht nichts entgegenzusetzen, aber um unnötige Verluste zu vermeiden, informieren wir Sie darüber, und fordern Sie auf … sich meiner Autorität zu unterwerfen.“
Nimue stand für einige Sekunden mit zusammengezogenen Brauen auf die eigenen Hände schauend da.
„Dream“, antwortete sie schließlich, „Sind Sie ein menschliches Schiff? Von der Erde?“
„Positiv, Humanity 2“, antwortete die Stimme. „Dies ist ein menschliches Schiff, mit einer menschlichen Crew. Wir sind Gesandte der Erde.“
Nimue nickte langsam.
„Schön“, antwortete sie wenig einfallsreich. „Sehr schön. Wissen Sie, ich denke, ich … werde über diese Sache mit der Unterwerfung noch einmal nachdenken müssen. Ich unterwerfe mich nicht so gerne.“
„Humanity 2“, sagte die Stimme aus dem Orbit, „Sie sind Erdbürger*innen. Ihr Schiff, Ihre ganze Mission untersteht bereits der Autorität, die ich repräsentiere. Wir verlangen von Ihnen nichts außer der Anerkenntnis diesen einfachen, offensichtlichen Umstandes.“
„Ja. Gut. Vielleicht … ist er ja nicht ganz so einfach und offensichtlich, wie er Ihnen erscheint? Und außerdem, woher weiß ich, dass stimmt, was Sie sagen? Sie könnten genausogut ein schleimtriefendes Alien mit riesigen Zähnen sein, und mir sonstwas davon erzählen, wie menschlich Sie alle sind, da oben. Und was genau sind Ihre Bedingungen? Was bekommen wir für die Zusage, dass Sie hier in Ruhe siedeln können?“
„Dies ist keine Verhandlung, Humanity 2“, sagte die Stimme. „Sie unterstehen derselben Autorität, die auch ich repräsentiere, und nur auf dieser Basis können wir zivilisiert interagieren. Erkennen Sie dies an?“
„Dream von wasauchimmer, ich erkenne hier gar nichts an, bevor ich verstehe, was überhaupt los ist, und was Sie uns eigentlich anbieten, und was Sie fordern, und wer Sie sind. Können Sie uns Ihre Bedingungen schriftlich schicken? Dann prüfen wir sie gerne, und melden uns.“
„Es gibt keine Bedingungen.“ Nimue hörte einen tiefen Atemzug, fast ein Seufzen, aus dem kleinen Lautsprecher in ihrem Helm. „Die Kapitulation“, sagte On-Sung Sima, „Muss bedingungslos sein.“
Lesegruppenfragen
- Wie steht ihr so zu Kentubs Opfer?
- Ab wann habt ihr kommen sehen, dass das On-Sung Sima ist?
- Habt ihr eine Meinung dazu, was hinter der Tür ist? Hab ich das schon mal gefragt? Ist doch egal. Liest ja eh niemand mehr.
- Würdet ihr die Tür öffnen? Nicht notwendigerweise abhängig von der Antwort zu Nr. 3.