Generationenschiff (22)


Ich gebe nicht auf!

Was bisher geschah

Im ersten Kapitel begleiteten wir Professor Rodney Advani zu einem Besuch bei Präsidentin Sima, um mit ihr über eine bedrohliche Entdeckung zu reden, lernten Kapitänin Tisha kennen, die ebenfalls gerade eine solche gemacht hat und dafür von Jeanne auf der Brücke eingeschlossen wurde, sahen Banja bei einer nicht sehr glücklichen Prüfung für seine Arbeit als Tinker zu, und wurden Zeuge, wie Jahre später Jole und Kentub darüber beraten, wie sie mit den aktuellen Erkenntnissen über den Planeten umgehen, der das Ziel ihrer Mission sein sollte.

Im zweiten Kapitel hat Piedra zunächst einen Unfall bei einem Außeneinsatz und führt dann ein schwieriges Gespräch mit Psmith, und die Präsidentin entscheidet, die Idee einer KI zur Kontrolle der Mission weiter zu verfolgen.

Im dritten Kapitel debattiert der Besatzung der Humanity über die Vor- und Nachteile einer Landung auf Last Hope versus derer eines Weiterflugs zu einer anderen wirklich allerletzten Hoffnung, Piedra versucht vergeblich, mit Wu über ihren Verdacht gegen Smith zu reden und wendet sich deshalb an Tisha, die gerade gar keine Lust hat, mit so etwas behelligt zu werden, und im Übrigen ist Senator Bowman der Meinung, dass der Planemo vernichtet werden muss.

Im vierten Kapitel wimelt Tisha Piedra ab und sieht mit Jeanne zusammen ein Video von unfassbarer historischer Bedeutung, Nico und Banya fachsimpeln über die Erde und bekommen Besuch von Piedra, und in unserer Zeit versucht Jerry Martinez, die ihn ihre KI gesetzten Erwartungen zu dämpfen.

Im fünften Kapitel folgt Jeanne Kentubs Empfehlung, Tisha will dem Ruf der Natur eigentlich nicht folgen, und Piedra versucht vergeblich, Banya ihren Verdacht gegen Psmith zu erklären.

Im sechsten Kapitel gerät Piedra mit Psmith aneinander, Kentub und Jeanne mit Marchand, und Rodney mit Jerry Martinez.

Im siebten Kapitel verhört Jeanne erst Piedra und dann Tisha, Kentub und Jeanne gehen zu dem Fremden, und Jerry und Rodney diskutieren über die Rettung der Menschheit.

Im achten Kapitel verkündet Jeanne in einer Teambesprechung einige wichtige Neuigkeiten, Kentub versucht, mit dem Fremden zu diskutieren, und Jeanne ernennt ihn zum neuen Kapitän.

Im neunten Kapitel streitet sich Banja zuerst mit Piedra und sagt dann seinem Vater, dass er sie nicht will. Kentub hält das für keine gute Idee.
Später versucht Kentub, die Kampfhandlungen zwischen den verfeideten Fraktionen an Bord der Humanity zu beenden indem er Marchant seine Position nahebringt, während auf Last Hope die Dienerinnen des Ersten Staates von einem neuen Stern erfahren.

Im zehnten Kapitel verbünden Tisha und Piedra sich gegen Psmith, um dann von ihm überrascht zu werden (also, nicht in dem Sinne, das sie sich dafür verbündet haben… Ihr wisst schon. Ja, das ist eine blöde Formulierung. Ich gewöhn sie mir ab.), Rodney besucht die Einrichtung, in der die Kinder für die lange Reise vorbereitet werden, Banja meldet sich freiwillig, und Kentub ringt mit den Konsequenzen seiner Entscheidung.

Im elften Kapitel verabschiedet Banja sich von Nico, Kentub betritt Last Hope, und Rodney lernt Celia kennen.

Im zwölften Kapitel redet Psmith mit Tisha und Piedra, Kentub begegnet Jeanne auf Last Hope, seine Transportgelegenheit verstirbt, und Präsidentin Sima gibt ein Interview.

Im dreizehnten Kapitel sehen wir die Ereignisse zwischen Kentub und Marchant noch einmal aus Marchants Perspektive, Marchant rettet ihn auf Last Hope, und Psmith erklärt weiter seinen diabolischen Plan. Der Schuft.

Im vierzehnten Kapitel berät die Präsidentin über Methoden zur Konservation der Besatzung, Marchant und Kentub reiten auf Jeanne über Last Hope und werden verfolgt, und Psmith wird endlich fertig damit, seinen diabolischen Plan zu erklären. Der Schuft.

Im fünfzehnten Kapitel macht Jeanne der Besatzung eine Ansage, und Kentub und Tisha beraten anschließend mit ihr, wie sie die umsetzen, und in der weiteren Zukunft führen die fremden Kreaturen Jeanne, Kentub und Marchant in die Dunkelheit.

Im sechzehnten Kapitel versucht Jole mit den übrigen Kolonistinnen eine Entscheidung zu treffen, Tisha sägt an Kentubs Stuhl, Marchant ereilt schon wieder sein Schicksal, und Kentub versucht, eine Meuterei zu vermeiden, mit unwillkommenere Hilfe von Jeanne.

Im siebzehnten Kapitel reitet Kentub auf Jeanne zu der toten Riesentermite zurück, die Präsidentin gibt ein Interview, und Banja zweifelt an seinen Entscheidungen.

Im achtzehnten Kapitel beendet Jeanne eine Meuterei, und erst Jole und Nimue und dann Jole, Kentub und Jeanne debattieren über die Zukunft der Kolonie.

Im neunzehnten Kapitel verhandelt Kentub mit Nimue über Ressourcen, diskutiert danach mit Jole und Jeanne die Zukunft der Kolonie, Banja möchte ein Held sein, eine Zeitung berichtet über die Machenschaften der Regierung Sima und Nimue begegnet mit Piri zusammen einem der Termitenwesen.

Im zwanzigsten Kapitel trifft sich die Besatzung im Arboretum, und Banja und Piedra führen ein Gespräch. Präsidentin Sima verschiebt die Wahlen. Und Piri und Nimue erhalten ein Geschenk, und geben eins zurück.

Im 21. Kapitel ersteht Kentub von den Toten auf, oder bleibt eigentlich erst mal liegen, erwacht aber immerhin zum Leben, Banja betritt das Schiff der Fremden und trifft dort 1 alten Bekannten, und Kentub droht, an seinen Kolonist*innen zu verzweifeln, aber dann kommt 1 Raumschiff.

Was heute geschieht

11.25.149
Das Strahlen hatte nachgelassen, und Kentub konnte Banja ansehen, ohne die Augen zusammenkneifen zu müssen. Das tat er auch sehr gerne, und er war in Anbetracht der Umstände wenig überrascht, dass sein Sohn sich kaum verändert hatte, zumindest, soweit er sich erinnern konnte.
Er stand Banja gegenüber, mit fast locker herabhängenden und fast ein bisschen ausgebreiteten Armen und ein bisschen hängenden Schultern, und sah ihm fast in die Augen und fast auf den Boden.
„Und … umarmen wir uns jetzt, oder wie läuft das? Ich bin nicht beleidigt, wenn nicht, aber ich hätte auch nichts dagegen … Bist du das überhaupt? Bist du noch … da drinnen?“
Kentub schloss sehr entschieden seinen Mund, damit nicht noch mehr Blödsinn rausfallen konnte.
Banja sah ihn mit schwer zu deutendem Gesichtsausdruck an.
Schließlich nickte er.
„Ja, ich bin noch hier drinnen“, antwortete er. „Aber wir müssen uns nicht unbedingt gleich zum Anfang umarmen.“ Er zögerte einen Moment, bevor er hinzufügte: „Vielleicht später.“
Kentub nickte.
„Kein Problem. Ich … Ich freue mich, wirklich. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Und jetzt … bist du sogar hier. Das finde ich toll! Aber, versteh das bitte nicht falsch: Warum bist du hier?“
Banja nickte und lächelte.
„Ich bin natürlich hier, um euch zu helfen.“
„Natürlich“, sagte Kentub.
„Natürlich“, sagte Banja.
„Schau mal“, sagte Kentub, „Ich … Ich bestehe nicht drauf, dass das hier peinlich und schwierig ist, aber ich weiß wirklich nicht, wie ich mit dir und der Situation umgehen soll. Haben sie dich verändert, wie der Fremde Marchant verändert hat? Erinnerst du dich noch? Bist du sauer auf mich? Ich hab nicht entschieden, dass du zu den Fremden gehst, das warst du selbst, aber ich fühl mich natürlich trotzdem schuldig.“
Er breitete ratlos die Arme aus, ließ sie ebenso ratlos wieder sinken und zuckte noch ratloser die Schultern.
„Ich fänd es sinnvoll, wenn wir zu Anfang einmal kurz drüber sprechen könnten, wie wir zueinander stehen und miteinander umgehen wollen.“
Banja seufzte. Kein guter Anfang.
„Was willst du da groß besprechen?“
„Banja …“
„Fang so am besten gar nicht erst an.“
Kentub vergrub das Gesicht in den Händen, massierte sich die Schläfen, sagte an seinen Händen vorbei: „Ich mein das nicht so“, schloss die Augen, atmete tief durch, setzte ein professionelles Lächeln auf, nickte, atmete noch mal tief durch und sah seinem Sohn in die Augen.
„Okay! Wie kannst du uns helfen, Fremder?“

91.42.97
Banja war nicht zufrieden mit seiner Reaktion, aber er konnte nicht anders, als einen korrespondierenden Schritt vor Psmith zurückzuweichen.
„Hey“, sagte er. „Ich hab mir Sorgen um dich gemacht! Und jetzt … bist sogar hier. Das finde ich toll! Aber, versteh das bitte nicht falsch: Warum bist du hier?“
Psmith nickte und lächelte.
„Ich bin natürlich hier, um dir zu helfen.“
„Natürlich“, sagte Banja.
„Natürlich“, sagte Psmith.
Banjas Blick wanderte fast ganz ohne Banjas aktives Zutun an Psmiths Körper hinauf. Zu seiner Erleichterung fand er nirgends etwas, das einer Waffe ähnelte, nur den schlichten Overall, den die meisten Besatzungsmitglieder der Humanity trugen, und der nur mit sehr viel Fantasie und bösem Willen dazu dienen konnte, einen Menschen zu verletzen.
Andererseits hatte Psmith ja beim letzten Mal auch keine besonders auffällige Waffe gebraucht, um die gesamte Menschheit auszurotten, wenn auch zum Glück nur zeitweise.
„Hast du schon eine genaue Vorstellung, wie du das machen willst?“, fragte er sein gruseliges Gegenüber nach kurzer Bedenkzeit.
Psmith schüttelte grinsend den Kopf.
„Noch keine ganz klare, nein. Ich kann mir verschiedene Möglichkeiten vorstellen, wollte aber noch abwarten, was sich anbietet.“
„Versuchst du absichtlich mir Angst zu machen?“
„Ja.“
„Es funktioniert.“
Psmith schob das Kinn und die Lippen vor und nickte zufrieden.
Und trat noch einen Schritt vor.
„Du hast nicht mal eine Waffe!“, sagte Banja.
Das hatte viel weniger weinerlich und bestürzt klingen sollen. Banja hatte eigentlich sogar versucht, es belustigt und abfällig zu sagen.
Hatte nicht so gut geklappt.
Psmith nickte noch einmal, langsam und ziemlich genau so belustigt und überheblich, wie Banja gerne geklungen hätte.
Banja atmete tief durch und tat sein Bestes, nicht zu quieken, als er hervorpresste:
„Du hast sogar schon gesagt, dass du mir nur Angst machen willst!“
Psmiths Grinsen wurde sehr, sehr breit. Breiter als Banja für möglich gehalten hatte.
„Ich habe nie irgendwas von nur gesagt!“
Banja trat noch einen Schritt zurück.
Psmith trat noch einen Schritt näher an ihn heran.
Banja dachte kurz darüber nach, irgendetwas Gewalttätiges zu machen, um Psmith einzuschüchtern. Der Arzt war kleiner und schmächtiger als Banja. Was, wenn er ihn einfach schubste? Oder ihn mit der Faust ins Gesicht schlug? Oder ihn ins Ohr biss?
Aber er brachte es nicht über sich. Banja hatte noch nie ernsthaft Gewalt angewendet, und außerdem hatte er jetzt gerade neben diesem diffusen Gefühl von So-geht-das-doch-nicht auch die erheblich konkretere Sorge, damit etwas in Gang zu setzen, das er nicht wieder würde anhalten können. Etwas, das er sich gerade sehr bildhaft sehr schrecklich ausmalen konnte.
„Genug jetzt!“, sagte er stattdessen.
Es klang nicht so furchtsam, wie er befürchtet hatte, aber dafür sehr, sehr lahm.
„Oder was?“, fragte Psmith, und trat noch einen Schritt näher. Ihre Nasen berührten einander jetzt beinahe. Banja konnte Psmiths Wärme auf seinem Gesicht spüren, oder zumindest bildete er sich das ein.
Er trat zurück. Und spürte die Wand an seinem Rücken.
Psmiths Grinsen wurde unfassbarer Weise noch ein bisschen breiter. Er hob die linke Hand auf Schulterhöhe, schloss sie, öffnete sie, schloss sie, und öffnete sie wieder.
Während Banja noch darüber nachdachte, was die Geste bedeuten konnte, und ob sie vielleicht als Winken gedacht war, veränderte sich etwas hinter ihm, und lange, flexible, kalte Arme packten ihn und zogen ihn durch die Wand zu sich.
Banja kam noch dazu, sich zu fragen, wozu das alles gut gewesen sein sollte, bevor alles schwarz wurde.

92.42.97
„Und es hat den Riegel mitgenommen?“
Nimue nickte. Und hob den grauen Klumpen.
„Ich will nicht vorschnell urteilen, aber ich denke, wir müssen zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass wirklich ein Austausch stattgefunden hat. Also. Ein in irgendeinem Sinne absichtlicher, mit einer Bedeutung.“
„Und?“
„Naja, wenn wir … mit dieser Lebensform wirklich in Kontakt treten könnten, könnte vielleicht eine … Kooperation entstehen! Muss ich das erklären? Stell dir die Möglichkeiten vor, wenn wir tatsächlich mit anderen zusammenarbeiten könnten, vielleicht sogar handeln!“
„Du hast zu viel Zeit mit Kentub und Jole verbracht. Und vielleicht auch mit Jeanne, jetzt wo ich drüber nachdenke.“
„Ich sag ja nicht, dass es so ist! Aber du musst zugeben-“
„Nein.“
„Vielleicht sollte ich mehr Zeit mit Kentub und Jole verbringen. Und vielleicht auch mit Jeanne, jetzt wo ich drüber nachdenke.“
„Nein ernsthaft. Du hast diesen Klumpen bekommen.“
„Ich glaube, es ist eine Art Pilz. Nahrung.“
„Für diese Viecher.“
„Womöglich auch für uns.“
„Aber sogar wenn. Wir werden hier nicht verhungern. Was sonst sollen diese Viecher haben, das uns interessiert? Was können die uns denn geben, für unsere Riegel?“
„Wir wissen es nicht, das ist doch gerade das Tolle!“
Er verzog den Mund, hob eine Augenbraue, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute zu Nimue auf, ohne zu antworten.
„Ich sage ja nicht, dass wir jetzt alle unsere Ressourcen drauf verwenden sollten“, fing sie an, sich zu rechtfertigen, „Aber es ist eine von meh… Hörst du das auch?“
Er nickte, und der Sarkasmus fiel zum Glück sehr schnell von seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck ab.
„Was ist das?“, fragte er. „Fehlt noch eine der Kapseln? Oder … Kann die Humanity doch landen? Oder haben die Dinger etwa irgendwas, was fliegt?“
„Finden wir’s raus.“
„Weißt du, ich weiß wirklich nicht, ob mir diese optimistische abenteuerlustige Nimue gefällt.“
„Ich weiß wirklich nicht, ob mich das interessiert.“
Sie trat aus dem Zelt heraus. Draußen standen natürlich bereits auch alle anderen Angehörigen ihrer Siedlung und starrten zum Himmeln, zu dem gleißenden Licht, das von dort oben zu ihnen herab … sank? Fiel? Stürzte? Flog?
Sie hoffte auf Letzteres, denn sie konnte jede mögliche Hilfe gebrauchen.
Andererseits konnte natürlich auch ein abgestürztes Flugobjekt Hilfe bedeuten, und ein noch fliegendes konnte auch eine Bedrohung sein.
Sie entschied, dass ihre Hoffnung ohnehin irrelevant war und sie sich lieber auf die Situation konzentrieren sollte.
So sah sie konzentriert zu, wie das gleißende Licht immer näher kam, bis sie das Flugobjekt darüber ausmachen konnte. Während es weiter herabsank, wuchs Nimues Überzeugung, dass es ein Schiff der Fremden sein musste. Es war natürlich viel kleiner als das Schiff, mit dem die Humanity damals zusammengetroffen war, und es hatte auch nicht ganz die gleiche Form, aber die Struktur ähnelte der des größeren Schiffes. Aus einem grob sphäroiden Korpus von vielleicht 10 Metern Durchmesser – es war auf die unbekannte Entfernung schwer einzuschätzen – ragten teils eher pyramiden- und teils eher kegelförmige … Aufbauten? Auswüchse? hervor, deren Länge ungefähr dem Durchmesser des Korpus entsprach, wenn Nimue das von hier unten richtig sah.
Das Schiff sank schließlich niedrig genug, dass sie ihren Blick abwenden musste, aber aus den Augenwinkeln und mit schmerzenden Augen durch die Spalten zwischen den vorgehaltenen Fingern konnte sie beobachten, wie es den Boden erreichte, oder vielmehr im unter der Hitze seines Antriebs geschmolzenen Eis verschwand.
„Wartet!“, rief sie den anderen zu, die teils ungeduldig, teils zögerlich näher an den Rand des ins Eis gebrannten Loches gingen, „Wir wissen nicht, wie gefährlich es ist! Der Boden könnte instabil sein.“
Sichtbar widerwillig blieben sie stehen.
„Was ist das?“, fragte Piri hinter ihr.
„Ich glaube, ein Schiff der Fremden.“
„Whoa! Sie sind wieder da? Was wollen sie denn? Sind sie gefährlich?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete sie.
Geräusche kamen aus dem Loch im Eis, und Nimue verstand immer besser den Impuls, näher heranzutreten, um zumindest erkennen zu können, was da geschah.
Sie war nicht alleine damit.
„Piri, bleib hier!“
„Aber“
„Nein! Das diskutieren wir nicht, du bleibst hier.“
„Ich denk, du weißt nicht, ob es gefährlich“
„Piri! Gerade deshalb tust du jetzt, was ich dir sage. Wir können hinterher drüber reden!“
„Okay…“
Und dann blieb er tatsächlich stehen. Eine Minute verging, und Nimue begann sich zu fragen, ob sie jetzt vielleicht näher herangehen sollte, und weil ihr das absurd vorkam, stattdessen darüber, was sie tun sollten, falls jetzt fünf, zehn, dreißig Minuten lang einfach gar nichts geschehen sollte.
Irgendwann musste sie doch an das Loch herantreten. Oder?
Sie konnte immer noch Kentub um Hilfe bitten. Um Jeanne.
Aber das wollte sie natürlich nicht. Es war vielleicht nicht vernünftig, dass sie lieber ein Mitglied ihrer Siedlung oder sich selbst riskieren würde, als Kentub um Hilfe zu bitten, und sie hoffte, dass sie am Ende trotzdem die vernünftige Entscheidung treffen würde.
Aber sie wollte es sehr nicht.
Als Piri nach einer weiteren Minute mit nicht zu überhörender Genugtuung fragte: „Wie lange müssen wir jetzt hier stehen bleiben?“, fiel ihr keine bessere Antwort ein als:
„Bis ich was anderes sage.“
„Darf ich mir wenigstens irgendwann was zu essen holen? Das wär ja in der anderen Richtung…?“
„Verdammt, wart doch einf…“
„Da!“, rief jemand.
Und tatsächlich war da eine Bewegung, irgendetwas am Rand des Loches.
Eine Hand? Ja! Jemand zog sich
„Oh Frex.“
Jetzt konnte Nimue nicht mehr anders. Sie ging, schneller, joggte, lief, rannte zu dem Rand des Loches, wo sich jemand emporzog, kniete, sich aufrichtete, Hände in die Hüfte stemmte,
„Piri, bleib, wo du bist!“
Sie drehte sich nicht einmal um, um nachzusehen, ob er gehorchte.
„Komm nicht näher!“, rief sie.
Außer Atem blieb sie schließlich vor dem Rand des Loches im Boden stehen, vor dem Mann, der herausgeklettert war.
„Was machst du hier?“, fragte sie.
Psmith grinste, und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Das frag ich mich auch. Oft.“
Er zwinkerte ihr zu und zuckte die Schultern.
„Jetzt hab ich zumindest jemanden, der mir antwortet. Wenn auch nicht in einer Sprache, die ich direkt verstehen kann.“
Nimue sah ihn an und schluckte.
„Sie haben dich auch mitgenommen?“
Er stieß ein grunzendes Schnauben aus und schüttelte den Kopf.
„Was habt ihr denn alle gedacht, was mit mir passiert ist? Oder haben sie eine Kopie von mir gemacht, die bei euch geblieben ist?“
„Naja… Wir sind alle einfach davon ausgegangen, dass du … nicht wiederbelebt wurdest, oder dass Jeanne … Du weißt schon.“
„Und niemand hat mal gefragt? Niemand hat sich gewundert?“ Er lächelte, aber seine Augen lächelten nicht mit, und seine Mundwinkel zuckten. „Niemand wollte wissen, was aus mir geworden ist?“
Nimue presste die Lippen zusammen und zuckte mit den Schultern.
„Was ist mit den anderen? Auf meiner Seite?“ Jetzt war auch der letzte Versuch, einen Scherz daraus zu machen, aus seinem Gesicht und seinem Tonfall und seiner ganzen Haltung verschwunden. „Jahony? Bresp? Hat niemand gefragt?“
Nimue zuckte die Schultern.
„Ich schätze, niemand wollte sich an dich ketten, nachdem du schon abgestürzt warst.“
Psmith schloss seinen ungläubig offen stehenden Mund, senkte den Blick, blinzelte langsam. Er schaute auf den eisigen Boden.
„Können … wir einfach von vorne anfangen?“, fragte er.
Sie zuckte die Schultern. „Was hast du denn gedacht, wie deine Aktion ausgeht? Du hast versucht, uns alle zu“
„KÖNNEN WIR EINFACH VON VORNE ANFANGEN?“
Sie stolperte tatsächlich zwei Schritte zurück. Psmith war nicht einfach nur laut. Seine Stimme hatte … ein Volumen, eine Gewalt, wie eine heftige Windböe, aber anders. Ihr Puls raste, und sie keuchte, nicht vor Anstrengung, sondern vor schierer instinktiver Panik vor der überlegenen Macht, die sie da gerade gespürt hatte.
Trotzdem zwang sie sich, wieder ruhiger zu atmen, bis sie in halbwegs würdevollem Ton und nur etwas bebender Stimme antworten konnte: „Ja, natürlich.“
Sie sah ihn an.
Er sah sie an.
Sie sah ihn an.
Er sah sie an.
Sie sah
„Du musst mich fragen, was ich hier mache!“, rief er, aber jetzt wieder, wie ein Mensch etwas rief, ohne besondere Effekte.
„Das ist doch nicht“, murmelte sie, erinnerte sich an seinen Auftritt gerade, unterbrach sich, und unterdrückte eine Grimasse.
„Was machst du hier?“, fragte sie.
„Ich bin hier, um euch zu helfen!“, antwortete er mit einem strahlenden Verkäufergrinsen, das sie natürlich nur aus fiktiven Werken kannte, weil ihr noch nie ein Verkäufer begegnet war, das ihr aber trotzdem unverkennbar schien.
‚Oh großer Gott ich bin so dankbar und erleichtert‘, dachte sie mit so viel Sarkasmus, wie sie irgendwie in dem Gedanken unterbringen konnte.
Aber sie sagte es nicht.
Sie sah nur in das strahlende Verkäufergrinsen und lächelte zurück und dachte es sich still, weil sie nicht zwanzig Lichtjahre zurückgelegt hatte, um sich dann am Ziel von einem soziopathischen zumindest potentiellen Massenmörder in Stücke reißen zu lassen.
Zumindest hoffte sie das.

 

Lesegruppenfragen

  1. Wie gefällt euch so allgemein die Entwicklung der Geschichte oder, um es nicht nur auf Geschmacksvorlieben zu reduzieren: Was denkt ihr darüber?
  2. Glaubt ihr, Psmith und Banja sind tatsächlich da, um zu helfen? Beide, oder nur einer von ihnen?
  3. Glaubt ihr, sie gauben zumindest, da zu sein, um zu helfen?
  4. Wie würdet ihr wohl an Nimues Stelle mit Psmith umgehen?
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