What Rough Beast, Zug 4


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Nee, immer noch keine Apokalypse. Aber sie kommt, nur Geduld.

Melanie
Es dauert ca. eine halbe Stunde, bis die Antwort kommt:
‚Wie du musstest? Was? Wo ist der? Was macht der da? SPINNT IHR?? Ruf die Polizei, wenn der nicht geht!‘

Melanie kommt sich plötzlich sehr doof vor. Stimmt, die Polizei… hm. Sie ist nicht mal auf die Idee gekommen. Aber was soll sie denen denn sagen? Er hat angedeutet, dass es vielleicht irgendwie vage für irgendjemanden Nachteile hätte, wenn ich ihn nicht ins Haus und in den privaten Wohnbereich meiner Mitbewohnerin lasse, also hab ich mal lieber…?
Und wie würde er reagieren? Wie muss sie sich diese Drohung, die ja deutlich im Raum steht, eigentlich konkret vorstellen?
Sie holt das Telefon und wählt, legt aber sofort wieder auf, es kommt ihr gleichzeitig zu banal und zu gefährlich vor.

Melanie geht wieder zu Bertas Zimmer und klopft leise an die Tür.
„Herr Spiridon“, ruft sie, „ ich …habe mich gerade gefragt, ob es eine gute Idee wäre, die Polizei zu rufen. Vielleicht möchten Sie mich doch ein bisschen konkreter in Ihre Überlegungen einbeziehen, damit ich wenigstens weiß, warum nicht?“

Einige Sekunden vergehen, bevor die Tür sich schließlich wieder öffnet und er aus Bertas Zimmer kommt. Er sieht nicht wütend aus, immerhin, überhaupt nicht besonders beunruhigt. Nur nachdenklich, und ein bisschen müde. Er faltet die Hände auf Gürtelhöhe, schaut kurz auf seine Schuhe und hebt den Blick dann zu Melanie.
„Es wäre keine gute Idee“, sagt er. „Sehen Sie. Wenn Sie die Polizei rufen, mit dieser Begründung …“ Er massiert für ein paar Sekunden mit zwei Fingern seine Nasenwurzel. „Also, wenn Sie einfach die Wahrheit erzählen, dann sind sie wahrscheinlich …“ Er macht eine unbestimmte Bewegung mit der rechten Hand „… in zwanzig bis dreißig Minuten da. Wenn Sie lügen, dramatisieren, wenn Sie sagen, dass ich mit dem Messer hinter Ihnen renne, dann vielleicht in zehn. So oder so hätte ich genug Zeit, zu gehen. Und dann würde mein Auftraggeber mich fragen:“ Hier macht Spiridon jetzt einen schwereren Akzent nach, als er selber ihn hat. „‚Spiridon, du biest zurick! Hast du Auftrag erledigt?‘ Und ich würde sagen: ‚Nein.‘ Und er würde sagen: ‚Spiridon, du wirst weich.‘“
Er zuckt die Schultern und seufzt.
„Sehen Sie, ich glaube, Sie haben es gemerkt. Ich habe viel verloren. Aber nicht alles. Ich habe noch ein gewisses … Renommee. Das brauche ich, weil ich sonst nicht mehr viel habe. Ich müsste also sagen: ‚Nein, bien ich nicht.‘ Und er würde mir nicht glauben. Er würde glauben, Spiridon ist alt und schwach geworden. Er würde zu anderen sagen: ‚Spiridon … Weißt du, Spiridon war mal ein gute … Dienstleister. Aber jetzt, ist so traurig, kan niecht mal mer einsame Zivilistin einschüchtern.‘
Und deshalb müste ich wieder kommen“, sagt er, „Um das zu verhindern“, und schaut sich dabei nachdenklich im Flur um. „Und müsste beweisen, dass ich nicht weich geworden bin.“

Melanie schluckt.
„Ich glaube, ich verstehe. Aber vielleicht könnten Sie es mit Ihrem ‚Renommee‘ vereinbaren, mir eine Vorstellung davon zu geben, was Sie vorhaben? Im Sinne unserer gemeinsamen Übereinkunft, so zu tun, als wäre das hier eine zivilisierte Situation, meine ich.
Berta kommt frühestens morgen zurück – haben Sie vor, hier zu übernachten? Haben Sie vor, in ihrem Zimmer …großen Schaden anzurichten?“
Sie wird kurz von einem panischen Gefühl von Absurdität und Haltlosigkeit überwältigt, rastet aber genauso schnell wieder in den abstrakten Pragmatismus ein, der ihr in absurden Situationen eigentlich immer gut geholfen hat.
„Und… sind Sie schon …fündig geworden? Da ich offensichtlich zu kooperieren scheine – kann ich etwas tun, um eventuellen Schaden für Berta oder mich zu minimieren?“
Als er nicht sofort antwortet, schiebt sie etwas lauter hinterher:
„Können Sie meiner unbändigen Neugier, WAS ZUR HÖLLE hier vorgeht, irgendetwas anbieten?!“

„Ich würde Ihnen lieber unnötige Details ersparen“, antwortet er, geht in Bertas Zimmer zurück und schließt die Tür hinter sich.

Melanie starrt eine ganze Weile auf die geschlossene Tür. Dann beschließt sie, dass sie so oder so nicht realistisch die ganze Nacht Wache halten wird und deshalb auch jetzt schon damit aufhören kann und setzt sich in die Küche, wo sie nervös einen Scone nach dem anderen verschlingt.

Sie ist vor allem wütend und kommt auch doof vor. Schätzt er sie als so ungefährlich ein, dass er es nicht mal für nötig hält, sie bei Laune zu halten, während sie zulässt, dass er in ihrem Haus…?
Melanie horcht in sich hinein und stellt fest, dass sie sich dafür nicht konkret bedroht genug fühlt. Außerdem hat Berta auch gesagt, sie soll die Polizei rufen. Und wenn er das nicht mitbekommt, müssten sie ihn ja eigentlich erwischen. Vielleicht ist er ja sogar nur irgendein armer Spinner, der irgendwo abgehauen ist, und sie tut ihm einen Gefallen?
Sie setzt sich so, dass sie durch die angelehnte Küchentür das Treppenhaus sehen kann, und wählt die 112.

Katharina
Sie findet nichts weiter in den Ohren, aber nachdem sie mit Tätscheln aufgehört hat, springt der Hund auf die Bank, setzt sich darauf neben sie und schaut sie weiter freundlich hechelnd an. Sein Kopf ist jetzt ungefähr auf der Höhe von Katharinas.

Katharina fällt nichts mehr ein, was sie noch tun könnte, um irgendetwas über den Hund zu erfahren. Natürlich, sie könnte ihn ins Tierheim bringen, aber dafür fühlt sie sich nicht zuständig. Erst recht nicht dafür, ihn mit nach Hause zu nehmen. Allein der Gedanke an das Tier auf ihrem Teppich lässt sie schaudern. Kurz testet sie die Vorstellung, ihm regelmäßig Futter in den Park zu bringen, aber wer weiß schon, ob er überhaupt häufiger hier her kommt.
Außerdem wird es langsam spät – wenn sie nicht mit leerem Magen einem mäßig enthusiastischen Schüler Stammformen einbleuen will, sollte sie langsam los. Katharina steht auf, dreht sich halb zu dem Hund, und tätschelt ihm nochmals ganz leicht den Kopf. „Leb wohl“, sagt sie, und geht.

Der Hund folgt ihr, so mit ca. drei Schritten Abstand.

Sie schreitet etwas zügiger aus.

Der Hund hält Schritt.

Katharina erhöht ihr Tempo nochmals ein wenig.

Der Hund läuft fröhlich schwanzwedelnd und Katharina herum und dann bei Fuß neben ihr her.

Sie bleibt abrupt stehen und fixiert den Hund mit ihrem strengsten Blick. „Platz!“

Er bleibt auch stehen, schaut zu ihr auf und leckt sich mit seiner langen, gräulich-rosafarbenen Zunge über die Nase.

Katharina dreht sich wieder um und geht entschlossen weiter, ihre Wohnung ansteuernd.

Der Hund läuft weiter neben ihr her, hin und wieder freundlich seine Schnauze an ihren Oberschenkel drückend.

Impertinentes Tier! Katharina drückt seine Schnauze weg, macht aber keine Anstalten, erneut stehen zu bleiben. Stattdessen geht sie zügig bis zu dem Altbau, in dem sich ihre Wohnung befindet, und hält dicht vor der Haustür an, so, dass sie sich zwischen Tür und Hund befindet. Sie schließt auf, öffnet die Tür nur einen Spalt, und beginnt, sich hindurch zu winden.

Frida
„Doch, genau. Total eigenartig. Hab sowas noch nie gesehen. Ist sie dir begegnet?“

„Ja, eben gerade. Sie sagte, dass sie trotz Minderjährigkeit keine Erlaubnis Ihrer Eltern vorweisen könne und ich war auf die, wie ich fand, geniale Idee gekommen, ihr Fritzi anzudrehen. Fritzi reagierte aber, zu meiner Überraschung wie ich sagen muss, sehr verängstigt auf sie. Insgesamt verlief das Gespräch mit ihr sehr verstörend. Meine Vermutung wäre, dass alle Tiere abweisend auf sie reagieren werden. Erwähnte sie Dir gegenüber auch so einen komischen N’Drangheta?“

Brigitte blinzelt Frida verwirrt an.
„Bist du sicher, dass du noch nichts getrunken hast? Nein, sie hat eigentlich bisher überhaupt keine kriminellen Clans erwähnt … Ich werd einfach mal gucken, wie die anderen Tiere reagieren, dann wissen wirs ja, oder?“

„Da bin ich sehr sicher.“, sagt Frida bestimmt. „Probier es ruhig aus. Was soll das groß ändern.“

„Okay, bis nachher. Vorsicht mit dem Sekt, das wird noch ein langer Tag heute!“
Und weg ist sie.

Frida schaut in ihre Sekttasse, nimmt einen Schluck und schaut, darin Ferdi gar nicht mal so anders, entspannt an die Decke: „Brigitte kommt früher oder später zurück.“, sagt sie zu sich selbst.

Es dauert eine knappe Dreiviertelstunde, bis Brigitte wieder ihren Kopf zur Tür hineinsteckt.
„So“, sagt sie, „Ich hab ihr jetzt Teryaki mitgegeben, die beiden haben sich auf Anhieb super verstanden, bis nachher dann vielleicht, wollte nur Bescheid sagen.“
Teryaki ist ein Zwerghuhn, das letzte Woche nach einem Autounfall in das Tierheim eingeliefert wurde.

teryaki war nach teriyaki, japanischen hühnchenspießen benannt worden, denn in einem sehr ähnlichen zustand hatte sich das tier bei seiner einlieferung befunden. frida konnte sich gar nicht erinnern, dass das huhn schon so weit wieder aufgepäppelt worden war, dass es sich in vermittelbarem zustand befand. frida überlegt, ob die sache einfach auf sich beruhen lassen soll. aber sie kann nicht aus ihrer haut: „brigitte“, sagt sie seufzend, „teryaki war doch gar nicht in der verfassung, dass wir sie jemandem mitgeben hätten sollen, oder?“.

„Dochdoch!“, sagt Brigitte, „War prima. Sie haben sich beide total gefreut! Du hast echt was verpasst. Das sind so die Tage, an denen ich weiß, warum ich mir das hier ausgesucht hab.“

Frida traut ihren Ohren nicht: „Mensch Brigitte, das Huhn hatte doch eine Fraktur beider Kapillarfugen des rechten Flügels. Hörst Du dem Tierarzt denn nie zu? Sorry, so unfreundlich meinte ich das nicht, aber das Tier war doch schlicht nicht vermittelbar in dem Zustand. Was hat das Mädchen Dir denn erzählt?“

Desmond

„That’s great!“, strahlt Meiserling, wendet sich, geht vor und plaudert die ganze Zeit fröhlich weiter auf Desmond ein. „Of course, no problem, sorry if that turn of phrase irritated you, I’m not a native speaker. Just follow me, we will collect your belongings and take you to your new Superior Room in our Platinum Area where the souls of the damned burn in all eternity and not a single cry for help will ever be heard by any sympathetic ear and the Saviour never comes.“
Meiserling bleibt vor der sich öffnenden Aufzugstür stehen, verneigt sich leicht und gestikuliert mit einem strahlenden Lächeln Janeway vor sich in den Lift.

Janeway hält inne und blickt in die nicht zusammenpassenden Augen Meiserlings. Sein Versuch, zu ergründen, ob der Mann psychotisch ist oder Witze macht, bleibt erfolglos.
„All right, vielen Dank. Das klingt doch sehr schön.“
Er betritt den Aufzug.

„Wir bemühen uns sehr, Ihr Hotelerlebnis so entspannt und angenehm wie möglich zu gestalten“, sagt Meiserling, jetzt auch wieder ins Deutsch zurückfallend, während er den Knopf in den dritten Stock drückt. „Wenn der Aufzug steckenbleibt, was denken Sie wohl, wer von uns zuerst den anderen essen würde?“

„Ich Sie. Wissen Sie, warum?“
Die Türen schließen sich und Janeway lehnt sich an die Rückwand des Aufzugs.

Er lächelt freundlich interessiert, als hätte Desmond ihn gerade gefragt, ob er sich vorstellen kann, warum er Pedelecs E-Bikes vorzieht.
„Warum?“

„Weil Sie… Wie sagt man? You gave the game away.“

„Aaaahhh…“ Er lacht, nickt Janeway zu, und als die Tür sich öffnet, setzt er sich sogleich in Bewegung zu seinem Zimmer.
„Zimmer 319, richtig?“

„Ja.“
Janeway kramt nach der Chipkarte, findet sie, aber bleibt vor der Tür stehen.
„Wissen Sie, ich habe noch mal drüber nachgedacht. Ich bleibe hier in meinem Zimmer. Mit der … Sauna, die Sie erwähnt haben, kann ich gar nichts anfangen. Wenn Sie sonst Ärger kriegen, kann ich auch Ihrem Manager sagen, dass ich kein anderes Zimmer möchte.“

Jack
Während er in der Küche einen Kaffee zubereitet (schwarz, groß und kräftig) denkt er über die seltsame Begegnung mit Herrn Lämmergeier nach. Irgendwie war dieser Mensch bedrohlich. Oder kam es Jack nur so vor, weil er sich generell nicht viel aus anderen Menschen machte? Jedenfalls schien der Mediziner eine Bestimmung zu haben. Und Jack? Er hatte doch auch mal Prinzipien. Zum Beispiel, dass er nie eine Software mit bekannten schwerwiegenden Fehlern herausbringen würde. Er sollte dem Einstellungs-Bug doch nochmal nachgehen, egal was seine Vorgesetzten sagen. Was sollen sie machen? Ihn hinauswerfen? Ha ha. Jack weiß nur zu gut, dass erfahrene Softwareentwickler wie er nicht so leicht zu bekommen sind. Er dagegen würde jederzeit einen neuen Job finden. Frisch motiviert geht er wieder zurück an seinen Arbeitsplatz.

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