Wird Agata ihren Otto kriegen? Wird Kacper sich von der futuristischen Malware befreien können? Wird Shaw ihre Karriere noch retten können?
Diese und viele weitere Fragen werden auch heute wieder nicht beantwortet!
Viel Spaß:
12.
12.1
Als Agata zurückkehrte, war Otto gerade begeistert damit befasst, ein in Brot eingebackenes Tier zu verschlingen – das Fleisch sah ziemlich dunkel aus, also vielleicht irgendein Wild, vermutete sie –, und sie nutzte die Gesprächspause, sich einen Moment zu sammeln und auch selbst ein paar der Gerichte zu probieren. Die meisten waren ihr zu fettig, und ein paar hatten ein entschiedenes haut goût, aber sie fand die Fischsuppe zu ihrer eigenen Überraschung äußerst köstlich (Gerade beim Fisch hatte sie sich am meisten Sorgen um die Haltbarkeit gemacht.), und das Reh im Teigmantel – sie entschied nach dem Probieren, dass es Reh sein musste –, an dem Otto solche Freude hatte, schmeckte auch ihr ausgesprochen gut, auch wenn es vielleicht nicht ganz so viel Salz gebraucht hätte.
Aber ihr war natürlich klar, dass sie die Arbeit zwar hinauszögern konnte, aber früher oder später nicht mehr darum herumkommen würde.
Sie nahm sich also ein Herz, setzte ihr charmantestes Lächeln auf, und begann, mit dem Kaiser zu flirten.
12.2
„Ich bin wirklich erleichtert, Sie wiederzusehen.“
Shaw betrachtete Milosz mit einem dünnen Lächeln über die Ränder ihrer Brille hinweg.
„Wahrscheinlich dachten Sie auch nicht, dass Sie das jemals zu mir sagen würden?“
Milosz blinzelte überrascht.
„Wie meinen Sie…? Ach so. Naja. Jedenfalls freue ich mich, dass alles gut gegangen ist. Glauben Sie, Dr. Bednarek kann es schaffen?“
General Shaw zuckte die Schultern.
„Einerseits kann es nicht so ganz einfach sein, einen Kaiser zu heiraten, denn ich bin sicher, dass viele es versucht haben, aber nur recht wenige geschafft. Andererseits entscheidet der Schwierigkeitsgrad vieler Aufgaben im Leben sich mit der Ausgangssituation, und mir ist bekannt, dass Hrotsvit Otto I. sehr nahe stand. Sie hat also zumindest eine Chance.“
„Ich bin überzeugt, dass Dr. Bednarek mit Mut, Intelligenz und Entschlossenheit das Beste aus den ihr gegebenen Chancen machen wird.“
Milosz und Shaw schauten ungefähr gleichzeitig besorgt nach oben, zu dem Lautsprecher, aus dem Kacpers Stimme unerwartet gekommen war.
„Hat er sich in meiner Abwesenheit schon einmal unaufgefordert geäußert?“, fragte Shaw, und ergänzte nach kurzer Pause noch: „Oder überhaupt irgendwie auffällig?“
Milosz wiegte den Kopf von links nach rechts.
„Eigentlich nicht. Ich habe aber auch vermieden, mit ihm zu sprechen. Er ist mir irgendwie unheimlich jetzt.“
Shaw nickte.
„Ich bin mir selbst unheimlich“, sagte Kacper ungefragt.
Shaw seufzte.
12.3
„Aber meint Ihr denn nicht, dass der Papst es mir verübeln könnte, wenn ich der Kirche eine Stiftsdame abspenstig machte?“
„Gewiss nicht, Eure Kaiserliche Majestät!“ Agata hatte sehr konsequent darauf geachtet, Otto bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit dem Titel anzureden, und sie hatte gute Erfahrungen damit gemacht. Sie befürchtete, dass sie Roswita von Gandersheim gerade keine große Freude machte. Aber sie war bereit, das in Kauf zu nehmen. Jede ist sich selbst die Nächste. Und Nächstenliebe war doch ein hohes Gebot, oder?
„Wir Kanonissinnen legen keine Gelübde ab“, erklärte sie, „Und ich bin sicher, dass Seine Heiligkeit“ – das war doch die korrekte Anrede für den Papst, oder? Für einen Moment zweifelte sie und erlebte die Furcht, mit einem unbedachten Wort alles ruiniert zu haben, denn wofür sollte eine Ordensdame gut sein, die nicht mal wusste, wie sie den Papst anreden sollte. Aber es half nichts. Wenn sie sich die Unsicherheit anmerken ließ, hatte sie in jedem Fall verloren, also einfach weiter: „… es als ein Zeichen Eurer Nähe zu seiner Kirche und Eurer Frömmigkeit deutete, wenn Ihr eine -“ Sie bremste sich gerade noch rechtzeitig, bevor sie Braut Jesu sagte. Das wäre zu viel. Das waren die richtigen Nonnen. Aber was war sie denn? General Shaw hatte es ihr erklärt, aber sie hatte dabei natürlich keine blumigen religiösen Umschreibungen aufgezählt. Leider. Aber keine Zeit, sie musste sich etwas einfallen lassen. Sicher würde Otto über kleine Unsicherheiten hinweg sehen. Er sollte sie ja heiraten und nicht als Pressesprecherin einstellen. Obwohl Kaiser in der damaligen Zeit sicher eher aus Zweckerwägungen heirateten als aus Begeisterung über die schönen blauen Augen ihrer Gemahlin. Falls sie überhaupt blaue Augen hatte. Sie zwang sich, sich weiter auf das Gespräch zu konzentrieren und entschied sich für eine einfallslose, aber sichere Formulierung:
„… eine Ordensdame zur Braut nehmt. Und vergesst nicht den Respekt, den ich Euch bei Gelehrten und Künstlern verschaffen kann!“
Unbescheiden. Aber sie fand, dass dies keine gute Zeit war, zurückhaltend über die eigenen Vorzüge zu reden. Hrotsvit hatte einen großen Ruf als Dichterin und Gelehrte, und sonst nicht viel. Wenn sie daraus nichts machte, hatte sie keine Chance.
Zumindest schien Otto ihrer Argumentation gegenüber nicht völlig verschlossen. Er hörte ihr aufmerksam zu, er lächelte. Vielleicht ließen Kaiser sich ja doch von schönen Augen beeinflussen, ob nun blau oder nicht. Agata fand wiederum seine ein bisschen langweilig. Aber sie hatte keine Absicht, lange zu bleiben, deswegen war ihr das egal.
Jetzt setzte Otto plötzlich ein beinahe schelmisches Lächeln auf, und sie begannt, sich Sorgen zu machen.
Mit Recht.
„Aber, bei allem Respekt, ehrwürdige Schwester, wenn Ihr bedenkt, dass ich Prinzessinnen ehelichen könnte, die Töchter von Herzögen und Königen – könntet Ihr mir dann aufrichtig empfehlen, eine Kanonissin zu meiner Gemahlin zu nehmen?“
Agata war überfragt. Shaw hatte ihr eine kleine Übersicht über die Situation der Zeit gegeben, aber natürlich keine so ausführliche, dass sie jetzt mit einer fundierten Analyse hätte antworten können. Aber er lächelte. Das musste doch ein gutes Zeichen sein. Das würde er doch nicht, wenn er ihr gerade ernsthaft einen Korb geben wollte. Also musste er selbst schon wissen, dass sein Einwand nicht stichhaltig war. Also …
„Eure Kaiserliche Majestät, sicher kann ich nicht behaupten, Eure Möglichkeiten oder die weltliche Politik auch nur annähernd so gut zu verstehen wie Eure Kaiserliche Majestät selbst“ – vielleicht dann doch nicht übertreiben, nicht dass er sich verarscht fühlte – „Aber ich sehe nicht viele geeignete Prinzessinnen, die als Gemahlin für einen Mann Eures Status‘ infrage kämen, und ich glaube nicht, dass Ihr nach all Euren Erfolgen im Felde wie auch in der Welt der Diplomatie noch weitere weltliche Stärke benötigt. Aber ich glaube, dass Euer Licht noch heller scheinen würde, wenn Ihr auch eure musische Seite zeigen würdet und Euer Profil im Bereich der der Poesie und der Wissenschaft stärktet.“
Viel zu moderne Formulierung, aber sie hoffte, dass die automatische Übersetzung, die offensichtlich stattfand, etwas für ihn Sinnvolles daraus machte.
Er wirkte in jedem Fall, als würde er verstehen. Oder genauer: Als hätte sie ihn in seinem Bild bestätigt, denn eigentlich hatte sie gar keine Ahnung, wovon sie redete.
Er nickte.
„Ich sehe, was Ihr meint, Ehrwürdige Schwester. Aber sagt, wie steht Ihr zur Liebe? Sollte die Ehe nur praktischen Zwecken dienen? Sicher vertritt eine Dichterin wie Ihr nicht einen solch prosaischen Standpunkt!“
Er hatte schon wieder dieses verschmitzte Lächeln, das Agata noch unsympathischer fand als seine sonstige blasierte Großspurigkeit. Großer Gott, wie sie sich darauf freute, diese Zeit zu verlassen.
12.4
„Und Sie glauben das alles im Ernst? Sie wissen schon, dass ich kein medizinisches Experiment angeordnet hatte, sondern ein physikalisches?“
Shaw nickte. Sie kannte den Hohen Kommissar gut genug, um zu wissen, dass der kleine Scherz nicht bedeutete, dass sie ihrerseits etwas Unernstes antworten durfte.
„Auch ich bin noch nicht überzeugt. Wir sind noch im Begriff, zu überprüfen, ob tatsächlich ein externer Einfluss die plausibelste Erklärung für unsere Beobachtungen ist, oder ob eine … Täuschung vorliegt.“
„Wie ist denn Kacpers Bewertung? Wenn tatsächlich eine fremde Macht unser Experiment beeinflusst, sehe ich darin eine enorme Bedrohung und würde den Versuch abbrechen.“
Shaw nickte. Damit hatte sie in Gesprächen mit dem Hohen Kommissar gute Erfahrungen gemacht.
„Wir sehen derzeit keine Gefahr.“
„Jetzt sagen Sie dem Hohen Kommissar aber nicht die ganze Wahrheit, General!“
„Was war das?“
Shaw tat ihr Bestes, sich ihre Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Sie hatte Kacper befohlen zu schweigen. Sie hatte darüber nachgedacht, den Lautsprecher zu kappen, es aber für unverhältnismäßig befunden. Immerhin war ihr Mikrofon gut abgeschirmt, und sie hoffte, dass Kacper nicht genug Wert darauf legte, vom Hohen Kommissar verstanden zu werden, um lauter zu reden, oder sich direkt in das Telefonat einzuklinken.
Sie schaute kurz von der Kamera auf, als würde sie jemanden ansehen, der gerade zur Tür hinein gekommen war.
„Nicht jetzt, Milosz, ich telefoniere.“ Sie blickte wieder in die Kamera. Kurz erwog sie, zum Beispiel mit einer Schublade das Geräusch einer sich schließenden Tür nachzuahmen, entschied sich aber dagegen. Zu riskant. „Verzeihen Sie bitte, ein Teammitglied hatte eine Frage.“
„Ich zähle nicht als Teammitglied.“
„Ist er immer noch da? General, passt es gerade nicht, sollten wir später weiter reden?“
Sein Tonfall machte offensichtlich, dass er es nicht als höfliches Angebot meinte.
„Nein, keine Sorge. Wir können jetzt sprechen.“
„Sind Sie sicher?“
Sie zwang sich, die Finger ihrer rechten Hand zu entspannen, um nicht die Armlehne abzureißen, nickte und sagte in ganz locker professionellem Tonfall:
„Ja, sicher, kein Problem.“
Er lächelte, so wie man Kinder anlächelt, die sich freiwillig die Zähne geputzt haben.
„Schön. Dann können Sie mir ja jetzt noch einmal erklären, warum ich Ihr kleines Projekt nicht einfach beenden sollte.“
Jetzt war er so weit gegangen, dass sie sich nicht mehr besonders zusammenreißen musste. Jetzt stellte er sich einfach nur noch blöd.
„Uns ist eine Zeitreise gelungen“, sagte sie, ruhend in dem Bewusstsein der epochalen Bedeutung dieses Satzes. „Ganz einfach. Sie können entweder der Forschungskommissar“ – sie benutzte natürlich mit Absicht die Kurzform seines Titels – „sein, dem dieser Durchbruch gelungen ist, oder Sie können der sein, der ihn verhindert hat, weil er Angst vor einer Invasion von Außerirdischen hatte. Suchen Sie es sich gerne aus. Ich bestehe nicht darauf, Doktor Bednarek zurückzuholen.“
Er lächelte, und sie fragte sich, ob sie vielleicht doch zu weit gegangen war.
„Entscheiden Sie nach eigenem Ermessen“, sagte er. „Ich vertraue auf Ihr Urteilsvermögen.“
Sein Bild verschwand.
„Sie haben etwas mit mir gemacht“, sagte Kacper.
„Ich weiß“, murmelte Shaw. „Mit mir auch.“