Magnaflux (7)


Ach, ich weiß doch auch nicht mehr, ob ich die Kapitel mit oder ohne Klammern nummeriere. Aber sagt mal ehrlich: Wisst ihr es, ohne nachzusehen?

Viel Spaß!

„Ja sag doch wenigstens schon mal, worums geht?“

„Nee, ich … würd das gerne persönlich besprechen. Es ist wichtig. Dauert aber nicht lange.“

„Das ist aber wirklich ungünstig gerade!“

„Geht ganz schnell, versprochen. Will nur noch was zu dem … Song klären.“

Song war doch richtig, oder? Christian Weirich schien vorrangig Sprechgesang zu performen. Sagte man dazu auch Song? Würde er von dem durch sie verkörperten Lukas, der wohl eine Art Tonmeister war, erwarten, den Unterschied zu kennen und zu respektieren?

Zumindest ließ er sich nicht anmerken, falls ihn irritierte, dass Lukas Song gesagt hatte.

„Aber kanns nicht wenigstens bis morgen warten? Ich bin mit Hamos verabredet.“

Was war das denn für ein Name? Egal.

Agata war sich nicht ganz sicher, wie sie am besten weiter verfahren sollte. Es war ihr wichtig, ihre Mission möglichst schnell zu erfüllen und von hier zu verschwinden, allein schon, weil sie keine Lust hatte, eine Nacht in der Erwartung schlafen zu müssen, dass sie am nächsten Tag einen Menschen kaltblütig töten würde, ganz zu schweigen von dem Gefühl, von einer völlig fremden Macht gejagt zu werden, von der sie nicht viel wusste, als dass sie ihr technologisch weit voraus sein musste und es für einen angemessenen Auftakt der Suche nach ihr hielt, ein Haus in einem Wohngebiet mit einem Haufen Musikern niederzubrennen.

Andererseits würde sie Weirich vielleicht eher verschrecken, wenn sie ihm den Eindruck zu großer Verzweiflung vermittelte.

Agata nahm einen tiefen Atemzug – leise, damit er ihn nicht durchs Telefon hörte – und sagte, so ruhig sie konnte, was erfreulich ruhig zu sein schien:

„Können wir uns nicht einfach noch kurz vorher treffen? Dann ist die Sache geklärt, und ich kann weitermachen, und du hast auch wieder deine Ruhe.“

Das war nicht mal gelogen. Sie schmunzelte. Eigentlich war es sogar bemerkenswert nah an der Wahrheit.

Das waren immer die besten Lügen.

Weirich zögerte.

„Na gut“, sagte er schließlich. „Bei Pici?“

Skurwisin! Was war das jetzt schon wieder? Ein gemeinsamer Freund? Aber sie konnte jetzt nicht fragen. Oder zu lange zögern. Obwohl.

„Wie bitte was?“

„Na, bei Pici, wie immer?“

Nieślubne Dziecko! Na gut, musste sie eben das Beste hoffen.

„Okay, klar, gerne!“

„Dann bis gleich! Viertelstunde oder so.“

„Bis gleich.“

Er legte auf, und sie hängte den klobigen schweren Hörer an seinem komischen Stahlkabel in die Halterung zurück. Ihr war nach Verlassen der Wohnung ziemlich schnell eingefallen, dass jemand, der die Adresse hatte, sicher auch den Namen und damit den Mobilfunkvertrag der Person herausfinden konnte, insbesondere mit den technologischen Mitteln einer Kultur, die Zeitreisen entwickelt hatte. Sie konnten sie also mit dem Handy orten, deshalb hatte sie es abgeschaltet, zertreten und in die Saale geworfen.

Nachdem sie Weirichs Nummer aus dem Adressverzeichnis abgeschrieben hatte, natürlich. Herauszufinden, wie sie die öffentlichen Telefone auf der Straße benutzte, war dann nicht besonders schwierig gewesen, verglichen damit, an die passenden Münzen zu kommen. Eine Karte, die mit dem System kompatibel war, schien Lukas nicht zu besitzen. Oder sie hatte doch irgendein Detail nicht begriffen. Aber mit Münzen hatte es dann jedenfalls geklappt.

Und nun Pici.

Die Telefonzelle verfügte sogar über eine Halterung, in der dem Anschein nach mal ein Telefonbuch gewesen sein könnte, aber die war nun jedenfalls leer. Irgendwo hatte sie eine andere Zelle gesehen, die über einen großen Bildschirm verfügte, der vielleicht für Münz-Internetnutzung gedacht war, aber sie erinnerte sich nicht mehr, wo genau. Sie würde also einfach Passanten ansprechen und hoffen, dass es eine bekannte Bar oder ein Restaurant oder vielleicht ein Denkmal war.

„Entschuldigen Sie, ich suche … Pici, sagt Ihnen das was?“ fragte sie die erste Person, die ihr ins Auge fiel, einen Mann in Jeans und roter Outdoor-Jacke, der einen kleinen Trolley hinter sich her zog.

Sie sah sofort, dass sie sich den falschen ausgesucht hatte. Er wich ihrem Blick aus und begann schon, abwehrende Gesten zu machen, bevor sie den Satz zu Ende gebracht hatte.

Kopfschüttelnd wandte sie sich ab, und bemerkte noch jemanden: einen vielleicht zwölfjährigen Jungen, der neben der Telefonzelle stehen geblieben war sie ohnehin gerade anschaute.

„Entschuldige, kennst du das Pici?“

Er blinzelte, lächelte, und legte den Kopf ein wenig schief. Er kniff die Augen ein wenig zusammen, als stünde die Sonne direkt hinter ihr.

„Ist das vielleicht ein Restaurant oder sowas?“ hakte sie nach. „Ich soll da jemanden treffen.“

Er blinzelte noch einmal. „Ja, kenne ich. Aber …“ Sein Lächeln veränderte sich, und er trat einen Schritt auf sie zu. Sie wich unwillkürlich zurück.

„Kai!“ rief eine Mädchenstimme, und er blinzelte wieder, fünfmal schnell hintereinander, schüttelte den Kopf und drehte sich zu dem Mädchen um.

Agata war sich nicht sicher, ob sie die Wut wirklich in seinem Gesicht hatte aufblitzen sehen, oder ob es an der Perspektive oder dem Licht lag. Bestimmt Letzteres. So viel Wut konnte ein Kind in dem Alter doch nicht … Obwohl. Sie war noch nicht alt genug für ein so idealisiertes Bild von Kindern.

„Kai, voll gut, ich wollte dich noch fragen, ob du mir deinen Jace vielleicht gleich geben willst, ich bin doch am Wochenende bei dem Turnier. Hab den Ruhmbringer dabei!“

Sie zog eine Spielkarte aus der Tasche.

Schulterzuckend wandte Agata sich von den beiden ab und fragte eine ältere Frau in einem beigefarbenen Filzmantel nach Pici.

„Das ist doch dieses Café, oder? In der Westbahnhofstraße. Da können Sie von da drüben die 10 nehmen, oder Sie laufen einfach hin. Höchstens ein Kilometer. Einfach hier geradeaus, links auf die Schillerstraße, und dann immer weiter, da sehen Sie’s dann links schon.“

Dankbar nickte Agata und machte sich auf den Weg.

Sie fand tatsächlich ganz ohne Probleme ein Café namens Pici. Und als gäbe es wirklich eine Fügung, die ihr gewogen war, stand gerade, als sie ankam, auch Christian Weirich vor dem Café und hielt die Tür auf für ein junges Paar.

Gut. Sehr gut.

Agata betrachtete ihre Mission trotz aller Probleme mit sehr viel weniger Sorge, seit ihr klar geworden war, dass sie sich keine Sorgen um alles danach machen musste.

Ganz gleich, ob sie direkt nach dem Mord in eine andere Zeit springen würde, oder Minuten, Stunden oder Tage später: Es war egal.

Im schlimmsten Fall würde sie eben ein paar Tage in Untersuchungshaft verbringen. Sicher nicht schön, aber immerhin war sie dort überwacht und so sicher wie möglich.

Sie tat ihr Bestes, das Messer in ihrer Jacke so unauffällig wie möglich zu greifen, während sie mit einem hoffentlich aufrichtig erfreuten Lächeln auf ihn zu ging.

„Christian! Das ging aber schnell! Warst du eh in der Gegend?“!

Weirich legte seine Stirn in Falten und zog die Brauen zusammen.

Oh. Sie hatte etwas Falsches gesagt. Egal. Jetzt war er da. Sie musste nur zu ihm hingehen und das Messer-

„Er wohnt zweihundert Meter entfernt von hier“, sagte eine Kinderstimme.

Agata hätte beinahe das Messer fallen gelassen, so unerwartet und nah kam dieser Satz an ihr Ohr. Ihr Kopf ruckte herum, und direkt hinter ihr stand wieder der Junge von vorhin.

„Das hätten Sie wissen müssen, wenn Sie echt wären“, sagt er.

Fuck.

Fuck!

Fuck fuck fuck!

Agata erstarrte für einen Moment und konnte nur noch mit großen Augen den Jungen anstarren, während ihre Gedanken einander jagten und ihre Hand das Messer schmerzhaft fest umklammerte.

Nicht jetzt. Nicht so knapp.

„Lukas? Ist alles okay? Mann, ich mach mir echt Sorgen um dich, bist du sicher, dass du-“

Sie wusste nicht, woher der Entschluss kam, aber plötzlich, ohne dass sie so recht verstand, wie es passiert war, sprang sie mit mehr Agilität und Kraft, als sie sich zugetraut hätte, auf Christian Weirich zu und schwang das Messer über ihren Kopf.

Es musste das Adrenalin sein, das die Furcht durch ihren Körper pumpte.

Weirich schaffte es nicht einmal mehr, seinen Gesichtsausdruck an die Situation anzupassen, bevor das Messer ihn traf. Er lächelte immer noch fürsorglich und ein bisschen verwirrt, als die Klinge in sein Fleisch drang.

Bei aller hormonell getriebenen Kraft und Schnelligkeit fehlte es Agata noch an Präzision. Sie hatte das Messer in seine Schulter getrieben.

Wie in Zeitlupe klappte Weirichs Kinn herunter, während er seinem Freund Lukas dabei zusah, wie der die lange schlanke Klinge wieder aus seiner Schulter zog und erneut zustach, weiter unten, aber es sah immer noch nicht aus, als hätte sie nun sein Herz erwischt.

Verdammt wie albern! Wie schwer konnte das senn sein?

Und wie unangenehm die Geräusche waren. Sie hoffte, es würde bald vorbei sein. Aber wie egoistisch auch.

Für ihn war es bestimmt auch nicht schön.

Sie zog das Messer wieder heraus – da war mehr Widerstand, als sie erwartet hatte, hatte sie einen Knochen erwischt? – und nahm sich diesmal ein bisschen mehr Zeit, um zu zielen. Er war sowieso zu verblüfft, um sich zu wehren oder zu fliehen.

„Ich sag das nicht mehr oft, aber damit hatte ich jetzt absolut gar nicht gerechnet“, hörte sie wie durch Schaumstoff den Jungen hinter sich sagen, während sie das Messer zum dritten Mal in Weirichs Brust stieß.

Er schaute sie an, dann durch sie hindurch, und hüstelte leise. Ein dünnes Rinnsal rosa getrübten Speichels rann über seine Unterlippe, und seine Knie gaben nach. Er sackte zusammen, und zog dabei das Messer aus ihrer Hand, die keinerlei Kraft mehr zu haben schien.

Agata fühlte sich, als würde sie gleich neben ihm auf den Bordstein fallen.

Leise hörte sie, wie Menschen begannen zu schreien. Eine Hand berührte ihren Arm.

Und dann kam der Sprung.

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