Magnaflux (3)


Warum nur hat er beim zweiten Teil die Klammern nicht gesetzt? Denkt er sich etwas dabei? Ist es eine geheime Botschaft, deren Entschlüsselung mit einem Koffer voll Gold belohnt wird? Plant er eine abenteuerliche Schnitzeljagd vom Bodensee über die Wüste Gobi bis in die schwindelerregenden Höhen des Himalaya?

Naja, nee, er ist einfach nur zu blöd.

Trotzdem viel Spaß!

„Ich soll … was?“

Agata blinzelte die Generalin verwirrt an und hielt es aufrichtig für möglich, dass sie falsch gehört hatte.

„Haben Sie gesagt, ich soll … jemanden töten?“

„Christian Weirich.“ Shaw nickte, als hätte Agata sie gefragt, ob Jupiter der größte Planet des Sonnensystems ist. „Künstlername Doppel-U. Der junge Mann nebenan im Tonstudio. Es wäre sehr wichtig. Aber nicht eilig. Der Song erscheint frühestens in zwei Monaten.“

„… Song …?“

Die Generalin machte eine abwinkende Handbewegung. „Spielt keine Rolle. Sie haben … seien wir lieber übervorsichtig als unter- … sechs Wochen Zeit, um ihn zu eliminieren.“

„Sie meinen das ernst, oder?“

„Oh ja.“

Agata goss sich etwas von dem albernen Fruchtwasser in ein Glas und trank einen Schluck. Es war überraschend kalt, dafür, dass es einfach so hier stand.

„Warum haben Sie dann nicht jemanden geschickt, die sowas kann? Sie tragen diese lächerliche Uniform, den ganzen Tag, immer, da kennen Sie doch sicher Leute, die was von Waffen und Mord verstehen?“

„Die können keine Zeitmaschine bauen und dann rechtswidrig unter Umgehung der Sicherheitsvorschriften der zuständigen Behörden in das Jahr 2017 springen. Wir mussten Prioritäten setzen in unseren Qualifikationsanforderungen.“

Agata hob die linke Augenbraue, so weit sie irgend konnte.

„Sie haben reichlich Leute, die einen unschuldigen Musiker erschießen würden, aber Sie konnten niemanden finden, der gegen Arbeitssicherheitsnormen zu verstoßen bereit wäre?“

„… und eine Zeitmaschine bauen und konfigurieren kann.“

Agata öffnete den Mund, um Shaw anzuschreien, erinnerte sich dann aber rechtzeitig, dass sie im Gegensatz zu der Generalin für andere Menschen hörbar sprach. Sie atmete einmal tief durch und sagte dann, so ruhig sie konnte: „Ich hätte das für Sie gemacht, und dann hätte jemand anders springen können, wenn Sie mir gesagt hätten, worum es geht!“

Shaw sah sie an.

„Sie hätten die Zeitmaschine gebaut und jemanden in die Vergangenheit zurückgeschickt, um Weirich zu töten, aber wenn Sie es selbst tun sollen, haben Sie moralische Bedenken?“

„Ich habe keine moralischen Bedenken ich kann nur nicht mit Waffen umgehen!“ schrie Agata, diesmal leider, bevor ihr einfiel, dass andere sie hören konnten. „MIST!“

Jemand klopfte an die Tür.

„Lukas? Geht’s dir wirklich gut? Kann ich irgendwas für dich tun? Soll ich jemand anrufen oder so?“

„Neinnein, alles prima, ich … telefonier noch, bin aber gleich so weit, dann kanns weiter gehen.“

Christian klang kein bisschen überzeugt, war aber wohl zu höflich, weiter zu bohren.

„Okay, wie du meinst! Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, ja?“

„Danke!“

Weitergehen … A propos weitergehen.

„Ich habe keine Ahnung, wie man Musik produziert“, sagte sie, so leise sie konnte, zu Shaw. „Ich weiß nicht mal, ob das Produzieren heißt, was man an diesem Pult macht? Wie kann ich denn jetzt wochenlang so tun, als wäre ich … Tonmeister? Oder wie heißen die?“

„Dann schlage ich vor, dass Sie ihn möglichst bald töten, dann fällt es garantiert nicht auf.“

Noch einmal blinzelte Agata die Generalin fassungslos an.

„Sie sind völlig wahnsinnig, oder? Gibt es überhaupt einen Auftrag, ein Oberkommando, einen Minister, was weiß ich, irgendwen außer Ihnen, der von dieser Sache hier weiß und sie gutheißt? Oder sind wir gerade die einzigen im Gebäude, und ich bin gerade im Begriff, Opfer Ihrer Persönlichkeitsstörung zu werden?“

Shaw wandte ihren Blick schräg nach oben, wie sie es albernerweise immer tat, wenn sie mit Kacper sprach.

„Kacper, bin ich wahnsinnig?“

„Ich sehe keinerlei Anzeichen“, sagte die freundliche Computerstimme.

„Und habe ich für dieses Projekt, zu dem gehört, Christian Weirich zu töten, die Unterstützung der Kommission?“

„Ja, Generalin, Sie handeln auf Weisung des Hohen Kommissars für Forschung und Wissenschaft, dessen Plan die Zustimmung der Kommissionspräsidentin hat.“

„Genügt Ihnen das?“ fragte sie. „Ich bin sicher, ich könnte den Hohen Kommissar zur Not mit in die Bilderkammer bringen. Könnte aber zwei Wochen dauern.“

Agata zog eine angewiderte Grimasse.

„Es wäre wertlos, oder? Wenn Sie wirklich wollen, und Kacper mitspielt, können Sie mir Artur von Camelot, Gilgamesch, Jesus und Mohammed zeigen, wie sie miteinander den Monster Mash tanzen, mit Live-Musik von Wigley Sparks und Donald Duck.“

„Würde Sie das eher überzeugen?“

„Was passiert, wenn ich es nicht mache? Wenn ich mich einfach weigere, den Musiker zu töten?“

„Nennen Sie ihn bitte nicht so.“

„Ich kann mir den Namen nicht merken. Irgendwas mit Wei…?“

„Christian Weirich. Aber vielleicht ist es für Sie sogar einfacher, wenn Sie ihn sich nicht merken. Namen vermenschlichen. Denken Sie besser von ihm als ‚das Ziel‘ oder ‚der Feind‘, wenn Sie so weit gehen wollen.“

„Aber er ist gar nicht mein Feind! Das ist doch völlig verrückt! Er hat mir gar nichts getan, er schreibt und performt einfach nur Rapsongs!“

„Sie haben offenkundig noch nie einen seiner Songs gehört.“

„Beantworten Sie bitte einfach meine Frage?“

Shaw lächelte ein kleines, beinahe mitfühlendes Lächeln.

„Sie werden diese Zeit nicht verlassen, bis die Aufgabe erfüllt ist.“

„Ich dachte mir sowas.“

Agata sah sich hilflos um, ließ die Hände auf den Sessel fallen, in dem sie saß, trommelte mit den Fingern auf dem Polster und zuckte schließlich die Schultern.

„Ja gut“, sagte sie schließlich. „Ich denke, dann mach ich das wohl? Wissen Sie wenigstens, wie ich an eine Waffe komme?“

„Ich sehe verschiedene Möglichkeiten. Es wird daran nicht scheitern.“

„Immerhin. Wahrscheinlich gehe ich dann jetzt doch erst einmal nach Hause? Wissen wir, wo dieser Typ wohnt, in den ich gesprungen bin?“

„Selbstverständlich.“

Sie griff in die linke Hosentasche, die rechte, schaute müde und ein bisschen traurig zu General Shaw auf.

„Wissen wir auch, wo er seine Schlüssel hat?“

Kurz sah Shaw unzufrieden drein, dann schürzte sie die Lippen und antwortete:

„Sicher hat er irgendwo eine Jacke, oder eine Tasche.“

Agata nickte resigniert.

„Prima. Ich mach mich auch kein bisschen lächerlich und verdächtig, wenn ich jetzt da rausgehe und sage, nachdem ich die ganze Zeit drauf bestanden habe, dass es mir prima geht, dass ich jetzt doch lieber nach Hause will, und außerdem hatte ich irgendwas bei, Rucksack Aktentasche Jacke oder Schatztruhe, und wenn ja wo ist es bitte? Sollte keinerlei Problem geben.“

 

 

„Kacper, wie geht das hier?“ fragte Agata, nachdem sie den freundlichen Hilfsangeboten ihres zukünftigen – oder vergangenen? – Mordopfers entkommen war und auf der Straße stand. „Das hier ist doch sicher sein Terminal, aber es reagiert nicht. Ist der Akku leer?“

„Er hat es abgeschaltet“, antworte Kacper. „Sie müssten den Knopf an der rechten oberen Seite des Gerätes für mindestens drei Sekunden drücken, dann startet es. Geben Sie mir bitte etwas Zeit, um das Passwort zu ermitteln.“

„Ah, damit man es nicht versehentlich einschaltet? Stimmt, so war das ja. Weißt du, wo ich bin? Oder kannst du mir sagen, wie ich zu diesem Menschen nach Hause komme, der ich jetzt bin? War? Dann brauche ich das Gerät eigentlich gar nicht.“

Sie sah sich suchend um, ohne so recht zu wissen, worauf sie hoffte.

Um sie herum sah es aus wie ein unauffälliges, wenn auch wohlhabendes Wohngebiet, und zumindest erkannte sie auf Anhieb keine U-Bahn-Station, oder auch nur eine Bushaltestelle.

„Sie befinden sich im Dahlienweg in Jena, Thüringen, Deutschland, Dr. Bednarek. Ich kann Ihnen einen Weg zur Wohnung von Lukas Böhm empfehlen, auf dem Sie zu Fuß 58 Minuten brauchen werden, oder eine Busverbindung, die Sie 30 Minuten kosten wird, zuzüglich acht Minuten Wartezeit.“

Agata fummelte das Schlüsselbund aus der Tasche der scheußlichen Steppjacke und betrachtete es nachdenklich.

„Das hier ist doch ein Autoschlüssel, oder?“

„Sie können kein manuell zu steuerndes Auto fahren, Dr. Bednarek.“

„Ich darf nicht. Wie schwer kann das sein? Es fährt vor, zurück, nach links und nach rechts.“

„Ich bewerte das Risiko als unverhältnismäßig.“

„Aber wie sieht das denn aus, wenn der Typ mit seinem Auto hergekommen ist, und dann lässt er es hier stehen, für die nächsten zwei Monate?“

„Sie haben gegenüber Herrn Weirich vorgespiegelt, sich unwohl zu fühlen. Das ist in dieser Zeit eine unauffällige Erklärung dafür, nicht mit dem Auto zu fahren.“

Sie verdrehte die Augen, entschloss sich aber, Kacpers Einschätzung zu akzeptieren.

„In Ordnung. Ich lauf nicht gern so lange Strecken. Wie geht denn das mit dem Bus?“

„Es funktioniert im Grunde wie Lyft, aber Sie müssen bar bezahlen.“

„Bar? … Ach so. Das ist … Wow. Na gut. Bestimmt hat der doch …“

Sie kramte in ihren Taschen, bis sie eine kleine Ledermappe fand, in der neben diesen kleinen Plastikkärtchen, die früher den Bezug zu Konten herstellten, auch tatsächlich Münzen und Geldscheine fand.

„Wow…“

Natürlich hatte sie Bargeld schon gesehen, und sie hatte im Urlaub in Kanada sogar hin und wieder damit bezahlt, aber es war trotzdem etwas Besonderes.

„Das will ich versuchen! Wie rufe ich den Bus?“

„Sie gehen zur Haltestelle und warten. Wenn er kommt, machen Sie sich möglichst durch Winken oder ähnliche Gesten bemerkbar, damit er nicht vorbeifährt.“

„Und dann bezahle ich?“

„Genau. Es gibt Busse, die über Automaten verfügen, aber hier geben Sie das Geld dem Fahrer.“

„Oh das ist spannend!“

„Ich freue mich, dass Sie Freude an dem Experiment finden“, sagte Kacper.

„Ich habe nicht vergessen, dass ich jemanden umbringen soll. Aber deshalb muss ich mir nicht so eine einmalige Chance komplett versauen lassen.“

„Sie wenden sich zu der Haltestelle nach rechts, dann wieder nach rechts, und dann ungefähr 300 Meter.“

„Danke. Mhh… Kacper?“

„Dr. Bednarek?“

„Mir ist gerade was eingefallen. Dieser Lukas wohnt hier in der Stadt?“

„Ja.“

„Das ist also seine eigene Wohnung, die ich jetzt aufsuche, nicht ein Hotel oder sowas?“

„Korrekt.“

„Und es gab in dieser Zeit noch keine Servitoren oder so was?“

„Korrekt.“

„Dann hoffe ich, dass er frische Bettwäsche im Schrank hat, weil ich ganz sicher nicht in seinem benutzten Bett schlafe.“

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