24. Türchen: Sonia


Wir haben Heiligabend, und damit wäre dies eigentlich das letzte Türchen unseres Adventskalenders, und damit wäre eigentlich Zeit, irgendwas Zusammenfassend-Rückblickendes zu sagen, euch zu danken und gute Wünsche auszusprechen. Aber ich denke, davon kriegen wir in den kommenden Tagen alle genug, und außerdem kommt ja sowieso noch mindestens ein Bonustürchen, und die Abstimmung, da wird noch genug Zeit für sowas sein, dessenthalben wünsche ich euch allen nur knapp

viel Spaß!

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Sonia

Die Tierpflegerin legte ihre Hand auf die Türklinke, aber die junge Frau mit den hellbraunen Haaren und dem Mobiltelefon am Ohr hob abwehrend eine Hand. Sie sprach sehr energisch in das Telefon und schüttelte dabei heftig den Kopf, obwohl die Person am anderen Ende der Leitung das nicht sehen konnte.

„Nein, Sarah… Nein… Nein, ich kann nicht auf Sören aufpassen… Nur zwei Wochen, nein… Nein, ich kann einfach nicht… Weil ich eine völlig labile Soziopathin bin und ihn wahrscheinlich nach ein paar Tagen erwürgen würde, deshalb… Es ist mir egal, dass… Und wenn du sonst… Nein… Ja… Aber… Sarah! Sarah!“

Sie nahm das Telefon von ihrem Ohr, schüttelte weiter den Kopf und sah es an, als dächte sie darüber nach, es zu Boden zu werfen und zu zertreten. Sie hielt es in der linken Hand. Ihren rechten Arm trug sie in einer Schlinge.

„Können wir jetzt?“ fragte die Tierpflegerin. Sie sprach das „endlich“ nicht aus, aber es war trotzdem zu hören.

Die junge Frau nickte.

Ein lautes Bellen, Jaulen und Winseln hub an, als sich die Tür zu den Zwingern öffnete und die Tierpflegerin sie hineinführte. Die junge Frau ließ den Blick ihrer hellbraunen Augen kurz über die Zwinger schweifen, bevor sie ihn auf einen zwei Monate alten Mischlingswelpen fixierte.

Sie kniete vor dem Käfig nieder und streckte ihm die Hand entgegen, damit er an ihren Fingern schnüffeln konnte.

Der Welpe schaute mit seinen großen seelenvollen Augen zu ihr auf, tapste auf sie zu und begann, freundlich ihre Finger zu lecken.

Die junge Frau hatte sich immer gut mit Hunden verstanden. Sie hatte etwas an sich, das Menschen wie Tiere dazu brachte, sie umgehend zu mögen, aber nur bei Hunden erwiderte sie das Gefühl.

Und dieser gefiel ihr wirklich ausnehmend gut. Er hatte ein dunkelbeiges Fell mit nierenförmigen schokoladenbraunen Flecken. Zum Glück keiner über einem Auge. Der Fleck über dem Auge war in ihren Augen immer das Übermaß, das die Niedlichkeit zu Kitsch zerfallen ließ.

Für einen Moment verlor die junge Frau ihr Gleichgewicht und wäre beinahe seitlich umgekippt, aber gerade rechtzeitig streckte sie noch unbeholfen die freie Hand aus, um sich mit einem unterdrückten Stöhnen abzustützen. Ihre Finger waren ein wenig taub, und nun hatte sie zwei davon umgeknickt. Es tat noch kaum weh, aber sie vermutete, dass das bald kommen würde.

Der Welpe schnüffelte verwirrt in ihre Richtung und wünsche sich sichtlich die freundlichen Finger zurück. Er bekam sie, und die junge Frau genoss das Gefühl seiner kleinen rauen Zunge und seiner Zuneigung, und vergaß darüber beinahe das Telefonat mit Sarah, und das davor, mit ihrem Ex-Arbeitgeber.

Die Tierpflegerin war zu sehr damit beschäftigt, möglichst eilig ihr Programm abzuspulen, um es wahrzunehmen, oder zu bemerken, dass die Entscheidung schon gefallen war.

„Dies hier ist Leo“, sagte sie. „Er wurde im Stadtpark ausgesetzt, an einem Pflock im Boden festgebunden. Er hinkt auf dem linken Hinterlauf und fürchtet sich vor lauten Geräuschen, aber in einem liebevollen -“

„Ich nehme diese hier“, unterbrach Lenore sie. „Sie heißt Sonia.“

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9 Kommentare zu “24. Türchen: Sonia

  1. Oh. Ja. Okay.
    Mir ist gerade so ein gerührt-freundliches Lächeln irgendwie aus dem Gesicht gefallen. *seufz*
    In diesem Sinne: schöne Feiertage!

  2. Schön, von Lenore zu hören. Eine Fortsetzung mit ihr als unwillige Babysitterin wäre – ähm, was eigentlich? – interessant? oder so.

  3. @madove: Ein bisschen hättest du das Lächeln behalten können. Lenore hat ja immerhin ein neues Leben geplant, und ihr alles ziemlich endgültig aufgegeben.
    Vielleicht macht Sonia es also etwas länger als ihre Vorgänger.
    @Guinan: Interessant ist das, was ich anstrebe.
    @sylkuro: In diesem Fall ist der Kontext schon einigermaßen wichtig. Das Fragment wird dadurch marginal weniger weihnachtlich, aber deutlich interessanter.
    Vielleicht so: Bei den meisten Leuten ist es nur so ein Spruch, wenn sie sich oder andere als labile Soziopathinnen beschreiben.

  4. @Fabian und/oder Muriel (ich hätte gesagt Fabian oder doch lieber Herr Elfeld? Je nach Blog? Oder ist dir das egal?)

    Ich weiss, viel zu spät, aber das ist mir persönlich doch zu wichtig um ungesagt zu bleiben: Danke für die Fragmente. Die Fragmente waren ein sehr unterhaltendes Substitut für überschaubare Relevanz und einige der Fragmente machen überaus Lust auf mehr. Ich habe mal bewusst darauf verzichtet,unter jedes Fragment meine Meinung kundzutun, obwohl die in diesem Fall ja eventuell sogar relevant sein könnte? Kommt von dir noch ein Post in denen du deine favorisierten Fragmente auflistest und wir (das Volk die Leser) unsere Meinung äussern, oder entscheidest du das anhand der Reaktionen, die du bei den jeweiligen Fragmenten bekommen hast? Ich weiss ja nicht wie gross da unser bzw. mein Einfluss ist, aber als Teil der Leserschaft ist man natürlich verpflichtet zu wählen, weil jede Stimme zählt, jawohl. Und wir wissen ja, jede nicht abgegebene Stimme ist eine Stimme für…Halt. *muss Demokratie-bashing widerstehen*
    So, wo war ich..Fragmente toll, Wählen ist super wichtig und genau: ich freue mich auf ein weiteres Jahr mit deine Geschichten und wünsche dir viel Erfolg, so dass sich auch Menschen ausserhalb der Blogosphäre an deine Geschichten erfreuen mögen.

    Guten Rutsch ins 2014!

  5. @unendlichefreiheit: (Für mich fühlen sich Sie und Nachnamen im Blog-Umfeld sehr künstlich und formell an, deswegen würde ich Fabian bevorzugen, und dann am liebsten noch je nach Blog. Aber womit immer du dich wohlfühlst, kannst du gerne arbeiten. Ich bin da nicht so.)

    Natürlich freue ich mich riesig, dass mein Adventskalender dir gefallen hat. Mir hat es auch großen Spaß gemacht, sie zu schreiben.

    Es wird eine Abstimmung geben, in der alle 24 Fragmente zur Verfügung stehen werden, und in der ihr abstimmen dürft, welches davon in eine Geschichte umgewandelt wird. Ganz basisdemokratisch also, wie das sein muss. Ohne Mauschelei im Hinterzimmer oder sonst irgendwas. Ich denke, dass ich sogar drauf verzichten werde, meine eigenen Favoriten zu nennen, obwohl ich natürlich welche habe.
    Die Abstimmung dürfte auch noch dieses Jahr beginnen, und wenn nicht, dann ganz früh 2014. Ich überlege nur noch, wie genau ich sie gestalte, und dann ist ja nicht mehr viel zu machen.
    Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.

  6. Super Fragment. Ich freu mich ja, Lenore wiederzusehen aber… *seufz*

    Aber. Tsk. Ich muss ja mal schimpfen: Hierher hast du dich verkrochen. Und ich wundere mich den ganzen Dezember, warum auf Ueberschaubarerelevanz nichts erscheint… Hab‘ gerade alles aufgeholt, damit ich bei der Abstimmung mitmachen kann. Egal. Ich wuensche dir und Keoni trotzdem ein glueckliches, erfolgreiches und interessantes Jahr 2014.

  7. Naja… Verkrochen… Ich habs doch sogar vorher noch angekündigt. Na gut, ich hab nicht angekündigt, dass es dort so mager wird, aber das wusste ich auch nicht. Hatte verschiedene Gründe, von denen einige überraschend kamen. Aber nichts Dramatisches, keine Sorge.
    Danke jedenfalls fürs Vermissen und Aufholen und Mitmachen!
    Und die Wünsche erwidern wir natürlich mit Gusto. Euch auch!

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